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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serge Embacher
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Bedingungen vom Markt zur Verfügung gestellt. Was übrig bleibt, sind all jene Tätigkeiten, die zwar nicht ökonomisch verwertbar, aber gleichwohl gesellschaftlich notwendig sind. Einige dieser Tätigkeiten wie Lehren an Schulen, Hochschulen und Universitäten, Erziehen in Hort und Kindergarten, Theater spielen, Opern singen oder auch Kranke pflegen und Straßen fegen werden, da sie nicht profitabel betrieben werden können, staatlich beziehungsweise von der Gemeinschaft der Steuerzahlenden finanziert. Privatwirtschaftlicher und öffentlicher Sektor machen insgesamt die Welt der Erwerbsarbeit aus. Das bürgerschaftliche Engagement wirkt dazu komplementär. Es ist gesellschaftlich notwendige Tätigkeit als Ergänzung zu professioneller Arbeit, es wirkt in Bereichen, die professionelle Erwerbsarbeit gar nicht ausfüllen kann.
    Die Schule kann sich nur schwerlich um das »Übergangsmanagement« für junge Menschen in Ausbildung und Beruf kümmern. Dies geht nur in Kooperation mit Unternehmen und Betrieben und am besten mit engagierten Ausbildungs- und Job-Paten, die sozial benachteiligten Jugendlichen Wege und Perspektiven ins Berufsleben aufzeigen. In vielen »Ecken« der Gesellschaft haben sich solche Zonen ausgebildet, in denen sich Engagement und Erwerbstätigkeiten verschränken und wechselseitig durchdringen, sei es in der Kinder- und Jugendhilfe, bei stationärer oder ambulanter Pflege oder in der Hospiz- und Selbsthilfebewegung. Diese wechselseitige Durchdringung von Engagement und Erwerbsarbeit (vgl. dazu präziser und ausführlicher Evers 2007 und Olk 2010) hat negative Begleiteffekte, die sich in den letzten Jahren verstärken: Das Engagement rückt – zumindest partiell – stillschweigend an die Stelle von professionellen Dienstleistungen. Dadurch laufen wir Gefahr, unter der Flagge des Engagements die ohnehin starke Tendenz zu prekärer Beschäftigung und schlechten Jobs zu schlechten Bedingungen noch zu verstärken, worauf die Gewerkschaften immer wieder zu Recht hinweisen (vgl. Jirku 2010). Das Ehrenamt »monetarisiert« sich durch »Aufwandserstattungen«, »Übungsleiterpauschalen« und »Minijob-Vergütungen«, ohne dass daraus für die Betroffenen sinnvolle Perspektiven entstehen würden. Durch die Zahlung solcher »unechter« Aufwandsentschädigungen rückt das Engagement in die Zone der Niedriglohnarbeit vor und verdrängt dadurch reguläre Beschäftigung. Ankunft in der Tätigkeitsgesellschaft darf aber nicht bedeuten, Standards »guter Arbeit« aufzuweichen. Vielmehr kommt es darauf an, bürgerschaftliche Tätigkeiten durch angemessene Anerkennungsstrukturen zu würdigen und ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Das geht mit Mitteln wie öffentlichen Ehrungen, Förderpreisen, Kompetenznachweisen und politischer Anerkennung, aber nicht mit der weiteren Steigerung von Aufwandspauschalen.
    Auf weitere zentrale Beziehungen zwischen Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement kann im Rahmen dieses Essays nicht näher eingegangen werden. Doch schlummern in diesen Beziehungen wichtige gesellschaftspolitische Perspektiven, die bislang noch kaum den Weg aus eng gesteckten Expertenkreisen in den Mainstream der Politik gefunden haben. Die »Verberuflichung« des Engagements, bei der – wie zum Beispiel in der Hospizbewegung oder im Bereich der Kinderbetreuung – Engagierte ihre Freiwilligentätigkeit zum Beruf machen (vgl. Birkhölzer 2007 und Priller 2010), der Zusammenhang von Erwerbslosigkeit und Engagement (vgl. Lenhart 2010), die Funktion des Engagements als Brücke in die Erwerbsarbeit (vgl. Strauß 2007) oder auch die Weiterentwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationen, bei denen das Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamtlichen eine immer wichtigere Rolle spielt (Bode 2007), sind wichtige engagementpolitische Themen der Zukunft. Hier zeigt sich, dass das bürgerschaftliche Engagement und mit ihm die Bürgergesellschaft (bzw. der Dritte Sektor) für die Ausgestaltung des Sozialstaats von wachsender Bedeutung ist.
    Um nicht immer wieder in die »Notnagel-Debatte« zurückzufallen, braucht das Engagement materielle Freiheit – Freiheit, die oft nicht gegeben ist, weil vor allem engagierte Menschen aus sozial benachteiligten Schichten, die es ja bei allen Schwierigkeiten gottlob gibt, mit den materiellen Grundlagen ihrer Existenz ringen müssen. Sie sind dann besonders anfällig für das Eingespanntwerden in Tätigkeiten zu schlechten Konditionen mit »unechten«

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