Baustelle Demokratie
problematisch sei, da der Bund mit der Förderung bürgergesellschaftlicher Strukturen seiner gesamtstaatlichen oder gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nachkomme.
Es bedürfe demnach lediglich einer Anpassung der Rechtslage, damit das legitime Handeln des Bundes auch auf breiter Basis legalisiert werden könne. Igl schlägt vor, das Grundgesetz so zu variieren, dass es dem Bund möglich würde, in Kooperation mit den Ländern die kommunale Infrastruktur für bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Dieser Vorschlag würde – in Politik gegossen – dem Engagement in der Kommune ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Schließlich würde er einen Finanzierungsmix für bürgergesellschaftliche Infrastruktur ermöglichen, an dem sich die föderalen Ebenen – also Bund, Länder und Kommunen – sowie private Geldgeber wie Stiftungen und Unternehmen gemeinsam und kooperativ beteiligen könnten.
Die Blüte der Bürgergesellschaft lässt sich organisieren! Sie steckt nicht in Sonntagsreden über selbstloses Engagement, sondern in Paragraphen und gesetzlichen Bestimmungen, die man mit entsprechendem politischem Willen verändern kann. Der Umgang des Bundesfamilienministeriums mit dem von ihm selbst in Auftrag gegebenen Gutachten stimmt hingegen sehr pessimistisch. Nachdem Gerhard Igl seine Expertise beim Ministerium eingereicht hatte, wurde sie zunächst monatelang unter Verschluss gehalten und dem BMF sowie dem Bundesrechnungshof (BRH) »zur Prüfung« vorgelegt. Das Prüfresultat war niederschmetternd. Der Bundesrechnungshof wies in einem äußerst knappen Schreiben das Gutachten brüsk zurück (vgl. Bundesrechnungshof 2010). Und das BMF begründete auf immerhin vier Seiten, dass Igls Expertise aus verfassungs- und haushaltsrechtlichen sowie demokratiepolitischen Gründen nicht plausibel sei, was einer intellektuellen Verweigerung gleichkommt, da sein Vorschlag ja gerade den Versuch darstellt, verfassungs- und haushaltsrechtliche Argumente aus demokratiepolitischen Motiven heraus zu verschieben (Bundesfinanzministerium 2010). Nachdem das solcherart »geprüfte« Gutachten wieder beim Familienministerium angekommen war, legte man es dort still und leise z.d.A. (»zu den Akten«), wie es im Ministeriumssprech heißt. Keine Ministerin nirgends, die für Igls Ideen geworben hätte.
Was folgt daraus? Tragfähige Perspektiven für die Förderung der Bürgergesellschaft sind längst vorhanden. Es käme nur darauf an, sie ins Auge zu fassen und beherzt dafür zu kämpfen. Dass das nicht geschieht, zeigt, dass die Bedeutung der Bürgergesellschaft und des Engagements bislang nicht einmal in Ansätzen erkannt wurde. Oder besser: Ausgerechnet diejenigen, die auf Bundesebene Verantwortung in höchsten Ämtern tragen und die sich das »Gewinnerthema« Engagement zu eigen machen könnten, sind wie mit Blindheit geschlagen.
c) Bürgerschaftliches Engagement in der »Tätigkeitsgesellschaft«
Seit Hannah Arendts bis heute wegweisender Studie Vita activa – Vom tätigen Leben (Arendt 1958) hat sich langsam ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die etablierte Fixierung auf »Erwerbsarbeit« als Grundmodell der Gesellschaft zu kurz greift. Die Arendt’sche Unterscheidung der menschlichen Aktivitäten in »Arbeiten« (Tätigkeit zur Sicherung der physischen Existenz), »Herstellen« (Schaffung von materiellen und ideellen Werten) und »Handeln« (mit anderen gemeinschaftlich zusammenwirken) macht deutlich, dass Erwerbsarbeit – wenngleich sie im kollektiven Bewusstsein nach wie vor »total« gesetzt ist – nur eine wichtige Tätigkeitsform unter anderen ist. Die These Hannah Arendts, dass der Mensch nur da frei sein kann, ja dass er erst dann zu einem im anspruchsvollen Sinne gesellschaftlichen Wesen wird, wo er die nackte Perspektive der Existenzsicherung überwindet, kommt dem hier vertretenen Ansatz sehr entgegen: Die aktive Bürgergesellschaft verkörpert in den zahlreichen Formen des Engagements die Ankunft in der Tätigkeitsgesellschaft. Mit bürgerschaftlichem Engagement werden gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten verrichtet, die weder profitabel sind noch staatlich organisiert werden könnten (oder sollten).
Engagement trägt zu gesellschaftlicher »Wertschöpfung« bei, ohne dass es im herkömmlichen Sinne marktgängige Leistungen erbringen könnte (Generali Zukunftsfonds 2009). Denn alle Dinge und Dienstleistungen, die sich gewinnbringend verkaufen lassen, werden unter den herrschenden ökonomischen
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