Baustelle Demokratie
Aufwandsentschädigungen. Um die Freiheit des bürgerschaftlichen Engagements zurückzugewinnen und Engagement und Erwerbsarbeit in ein konstruktives Verhältnis zu setzen, bedarf es daher offensiver Strategien.
Die Debatte läuft auf eine Umdefinition der Arbeitsgesellschaft hinaus: Wenn die klassische Erwerbsarbeit nicht mehr für alle Menschen zugänglich ist und sie zudem nicht alle gesellschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen vermag, dann bedarf es einer politischen Neuorientierung auf die Bedürfnisse einer Tätigkeitsgesellschaft. Wer gesellschaftliches Engagement anerkennen will, muss ihm auch handfeste materielle Unterstützung bieten. Die in den letzten Jahren geführten Debatten über einen öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS) und ein garantiertes Grundeinkommen gehen in diese Richtung. Die Idee der aktiven Bürgergesellschaft im Zentrum der Politik hängt nicht nur mit politischen Teilhaberechten und -möglichkeiten, sondern auch mit der Verwirklichung sozialer Bürgerrechte zusammen. Eine Aufwertung des bürgerschaftlichen Engagements ist ohne grundlegende Veränderungen der politischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht möglich. Und mag auch der kollektive politische Wille dafür noch nicht erkennbar sein, die Zeit ist reif für einen grundlegenden Wandel.
New Governance
Angesichts der administrativen Starre, in die das Thema Engagementpolitik verfallen ist, besteht zurzeit nur wenig Aussicht auf die Schaffung guter Rahmenbedingungen für das bürgerschaftliche Engagement und die Entfaltung der Bürgergesellschaft. Daran würde wohl selbst ein Regierungswechsel auf Bundesebene so schnell nichts ändern. Zwar ist allerorten von »Innovation« die Rede, es gibt zahllose »Denkfabriken«, »Think tanks«, »Reformansätze«, Positionspapiere und Verlautbarungen über politische Neuanfänge. Doch ist der typische Politiker unserer Tage immer noch von einem historisch gewachsenen Verständnis geprägt, welches den Staat als eine hierarchische Instanz der Regierungsgewalt betrachtet, die von der Gesellschaft durch Wahlen legitimiert ist, politische Entscheidungen zu treffen, um diese Entscheidungen dann mit Hilfe der Verwaltung durchzusetzen. Einzig Parlament, Regierung und Verwaltung sind demnach für Gesetze, Erlasse und Verordnungen zuständig, die in Wirtschaft und Gesellschaft zu befolgen sind.
Diese »Aufgabenteilung« entspricht natürlich keineswegs der Realität. Zu allen Zeiten waren sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Akteure an staatlicher Politik beteiligt (zum Folgenden vgl. auch Embacher / Lang 2008, 218ff.). Der Staat als hierarchische Steuerungssphäre ist mit korporatistischen Strukturen unterfüttert, in denen Verbände, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen versuchen, ihre Interessen durch mehr oder weniger diskrete Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger geltend zu machen. Sofern es zu einer Regulierung gesellschaftlicher Entwicklungen eines intensiven Informationsaustausches zwischen dem Staat und wirtschaftlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Akteuren bedarf, ist gegen eine Mitsprache gesellschaftlicher Körperschaften zunächst nichts einzuwenden. Das deutsche Modell eines »Rheinischen Kapitalismus« (Michel Albert) hat jahrzehntelang die Politik der »alten« Bundesrepublik geprägt und einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften, Staat und Gesellschaft ermöglicht, der – wie sich heute immer deutlicher zeigt – dem amerikanisch-britischen Verständnis eines aggressiven Wettbewerbskapitalismus in fast jeder Hinsicht überlegen war: Er bot mehr sozialen Ausgleich, mehr gesellschaftliche Solidarität, mehr Wohlstand für jeden Einzelnen und einen alles in allem stark verankerten gesellschaftlichen Konsens über die Grundlagen der sozialen Demokratie.
Unter mindestens zwei Aspekten ist das korporatistische Staatsverständnis allerdings bis heute problematisch: Erstens sind die Zugangschancen zu den politischen Entscheidern ungleich verteilt. Große Interessenverbände unterhalten enge, auch persönliche Beziehungen zu den Akteuren in Regierung und Parlament, während gesellschaftlich benachteiligte Gruppen nicht über solche Zugänge verfügen. Mit der Regierung an einem Tisch sitzt im Grunde ein privilegierter Kreis von Interessenvertretern aus Arbeitgeberlager, Gewerkschaften und anderen Großorganisationen. Zweitens sind die Ergebnisse korporatistischer Verhandlungen keiner demokratischen oder
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