Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
alles nur, weil einer von ihnen das gesehen haben will? Wenn Sie Ihre gesamte Verteidigung vor dem Kriegsgericht auf diesem Hirngespinst aufbauen wollen, landen Sie so schnell in der Gummizelle, dass Sie nicht mehr wissen, wo vorn und hinten ist. Und ich werde sogar die Einweisung unterschreiben.«
»Ich gebe zu, dass es verrückt klingt. Aber ich glaube, ich habe bereits konkrete Hinweise darauf, dass es potenzielle Feinde gibt, die wir bloß noch nicht entdeckt haben.«
»Ach ja?«
»Sie erinnern sich an meinen Adjutanten, Captain Stone?«
»Ja. Was ist mit ihm?«
»Er …«
»Verzeihung, Admiral«, fiel ihm der Marine ins Wort, der nun von einem Zor in zeremoniellem Gewand und mit weißer Schärpe begleitet wurde. McMasters drehte sich abrupt um und stutzte.
»Admiral McMasters«, sagte Sergei, »darf ich Ihnen den Gesandten des Hohen Lords vorstellen, se Rrith ehn TITu?«
Imperator Alexander Philip Juliano drückte wütend den Ringfinger auf das Pad, woraufhin der große Bildschirm wieder trüb wurde. Er war eigentlich mehr frustriert als verärgert. Seine Regentschaft war nicht einfach verlaufen, und sie war nicht das, was er erwartet hatte, als ihm vor acht Jahren wie aus heiterem Himmel die Regentschaft aufgebürdet worden war.
Damals, als sein Vater, Imperator John, plötzlich bei einem hitzigen Streit mit einem seiner Minister den Folgen eines schweren Herzinfarkts erlegen war, hatte er alles noch für leicht und einfach gehalten.
Um die Angelegenheit hatte man viel Aufhebens gemacht. Irgendwann im Verlauf der Zeremonie, bei der die Würde des Imperators von seinem verstorbenen Vater auf ihn übertragen worden war, hatte Alexander veranlasst, dass dieser Narr von einem Minister auf Dauer als imperialer Botschafter auf Tolman’s World versetzt wurde, einen kalten und einsamen Ort, der so weit vom Hof entfernt lag, wie die Menschheit überhaupt ins All vorgedrungen war.
So wie bei diesem Vorfall waren Alexander die Machtwerkzeuge förmlich zugeflogen. Sein Vater hatte ihn gut erzogen. Die Manipulation der Imperialen Versammlung, die großen Konzerne und die vielen verfügbaren Propagandainstrumente hatten ihn freundlich und gerecht erscheinen lassen und ihn fest in seiner Machtposition verankert. Angesichts der Größe des Imperiums war es keine leichte Aufgabe gewesen.
Er hatte alles richtig gemacht, bis auf eine Ausnahme. Aber die …
Er stand auf und betrachtete den mit Samt bezogenen Thron, der auf dem kleinen Podest stand. Der Audienzsaal war leer und zum Teil in Dunkelheit getaucht. Minister und Höflinge hatte er weggeschickt und dabei genau das Maß an Grobheit walten lassen, das sie alle seiner Ansicht nach verdienten.
Eine leichte Brise spielte mit dem Vorhang, Alexander ging ans Fenster und sah hinaus in die Nacht, die vom Mond erhellt wurde. Er hörte die Wellen, die gegen die Klippen von Diamond Head schlugen, während ihn der Gleichschritt der Stiefel auf dem Platz unter ihm an die Wachen erinnerte, die ihn in seinem abgelegenen imperialen Palast vor dem eigenen Volk beschützten.
Du musst dir einen klaren Kopf bewahren, ermahnte er sich. Die Kontrolle über die Flotte war einem Verrückten in die Hände gefallen, der eine fremde Spezies fast ausgelöscht hatte. Für einen Moment war vergessen, dass diese Spezies zwei Generationen lang versucht hatte, die Menschheit zu vernichten. Vergessen war auch, dass manche Berater und Minister Marais’ Sieg durchaus für einen großen Triumph hielten.
Für die meisten Menschen jedoch war es ein Akt von unvergleichlicher Brutalität. Dass Marais ihn in die Tat umsetzen konnte, ließ nur einen Schluss zu: Der Imperator befürwortete diese Vorgehensweise. Und wenn man es genau nahm, dann hatte er ihm ja sogar den Befehl dafür erteilt. Aus Marais dem Schlächter war Alexander der Schlächter geworden.
O Gott!
Alexander stellte sich vor, wie eine Geschichtsstunde in ferner Zukunft aussehen würde … »Heute nehmen wir die schlimmsten Massenmörder der Menschheitsgeschichte durch: Dschingis Khan, Iwan der Schreckliche, Adolf Hitler, Josef Stalin, Hwa Chiang, Alexander der Schlächter …«
Dabei war es doch wirklich nicht seine Schuld. Vielmehr hatte sich Marais abgesetzt und konnte nicht aufgehalten werden, jedenfalls nicht vom Sol-System aus. Er hatte keineswegs den Willen des Imperators in die Tat umgesetzt. Er war ein Verräter, wei-
Aber dieses Eingeständnis würde bedeuten, eingestehen zu müssen, dass ein Kommandeur, der das volle
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