Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
bestechen sogar den Petty Officer, wenn sie einen neuen Posten antreten, damit der ihnen einen Platz an Backbord oder Steuerbord, Bug oder Heck, Ober- oder Unterseite zuteilt. Fast jeder Steuermann und Navigator nimmt wiederholte und unnötige Scans vor und überprüft laufend seine Ausrüstung, eine nervöse Angewohnheit, die einen Captain zur Weißglut bringen kann. Ingenieure sind natürlich die Schlimmsten von allen. Sie sind so auf das unterschwellige Summen der Maschinen eingestellt – wie ein Konzertmusiker auf sein Instrument –, dass sie auf die geringste Abweichung und auf jeden noch so winzigen Aussetzer sofort reagieren.
Von diesen individuellen Eigenarten einmal abgesehen, sind Raumfahrer generell sehr abergläubisch, was das Schiff angeht, auf dem sie dienen. So wie bei jedem anderen Aspekt der Imperialen Navy kann sich auch hier niemand der Tradition und der Vorgeschichte entziehen. Für das Schiff und die Offiziere spielen der Ruf und das »Glück« eine entscheidende Rolle. Der ersten Lancas ter hing der Ruf an, unheilbringende Kommandos anzuziehen. Systemausfälle, desinteressierte Führungskräfte und eine Reihe von wenig wünschenswerten Einsätzen gipfelten schließlich in der schlimmsten aller Katastrophen – der Zerstörung bei einem Überraschungsangriff. Das Hangardeck verlor dabei seinen Druck, womit das Schiff praktisch nicht mehr zu steuern war. Die nächste Breitseite ließ die Struktur des zentralen Maschinendecks zusammenbrechen, wodurch das Schiff fast in zwei Teile zerrissen und mehr als ein Drittel der Crew ins All geschleudert wurden.
New Patras markierte einen Wendepunkt in jener Pechsträhne, den man bis dahin mit dem Namen Lancaster verband. Es war der Beginn einer Serie von »Glückstreffern«, die genauso zufällig waren wie das Pech, von dem die Vorgängerin verfolgt worden war. War man dort schon fast von einem Fluch ausgegangen – ein anscheinend sich selbst erfüllender Aberglaube –, machte sich die neue Lancaster schnell einen Namen als Glücksbringerin, als die sie sich auch in den folgenden Jahren erweisen sollte. Rodyn seinerseits hatte sich ein White Cross und eine Erwähnung in den Lehrbüchern der Akademie verdient.
Der Captain der Lancaster hatte sich sein Offizierspatent und das Kommando über das Schiff auf die altmodische Weise beschafft -indem er es kaufte. Die glücklichste Wendung für das Schiff bestand wohl darin, dass er sich als einer der besten Captains überhaupt entpuppte.
Sein Glück schien der Lancaster treu zu bleiben, als er sie 2296 an Ted McMasters übergab. Rodyn, auf den man am Imperialen Hof anstieß, starb sechs Monate nach seiner Beförderung in den Stab Seiner Majestät an den Folgen eines plötzlichen, schweren Herzinfarkts. Sein Schiff, das sich nun in neuen, aber gleichermaßen fähigen Händen befand, festigte derweil weiter den Ruf, das Beste der Flotte zu sein. An diesem Ruf hatte sich nichts geändert, als die Lancaster 2304 an Sergei Torrijos übergeben wurde, nachdem die Beförderung von Commodore Sir Coris Bryant zum Admiral Ted McMasters zum Flaggoffizier hatte aufrücken lassen. Nur widerstrebend trat McMasters die Lancaster an seinen XO ab, und mit dem gleichen Widerwillen übernahm er das Kommando über Bryants Schiff, die Gustav Adolf. Anders als Rodyn überlebte McMasters sein erstes Jahr fernab von seinem alten Schiff und nutzte sein neues Kommando, um Seiner Imperialen Majestät gut zu dienen.
Bis Pergamum.
Das Summen der Maschinen der Lancaster im Ohr, lag Sergei Torrijos auf dem Rücken und ließ seine Gedanken abschweifen.
Er musste nicht viel dazu beitragen, um Erinnerungen von vor dreißig Jahren wach werden zu lassen. Er dachte zurück an Buenos Aires, sein erstes Zuhause. (Sogar hier in der Finsternis inmitten des unaussprechlichen Nichts des Sprungraums, der sich gleich hinter der metallenen Hülle des Schiffsrumpfs befand, war er noch wach genug, um zu erkennen, dass Buenos Aires nicht länger sein Zuhause war. Die Navy war sein neues Zuhause und auch seine Familie geworden.) Buenos Aires, eine Megacity mit fünfundachtzig Millionen Einwohnern, die sich zu beiden Seiten der Mündung des Rio de la Plata drängten, ein Monument der sanierten Armut, die die Bürgerlichen des Sol-Imperiums geerbt hatten. Armut war bei genauer Betrachtung das verkehrte Wort, weckte es doch Assoziationen, die längst so gut wie verschwunden waren – Schmutz, Hunger, Krankheiten. In Buenos Aires gab es nichts davon. Wäre
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