Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
Gesprächsführung liegen.«
»Ich …« Der Minister wandte sich kurz ab, um seine Wut in den Griff zu bekommen, dann erwiderte er mit vor Zorn bebender Stimme: »Sie werfen mir vor, ich hätte das Gespräch ungeschickt gehandhabt? Das wird Sie den Kopf kosten!«
»Nein, das glaube ich eher nicht. Wahrscheinlicher ist, dass es Sie den Kopf kosten wird.« Lächelnd ging er hinüber zu dem Alkoven, hinter dem er hervorgekommen war. »Guten Tag, Premierminister«, sagte er über die Schulter.
Die Wellen schlugen weiter unterhalb des Palastes an den Strand, durch das Fenster wehte eine warme Brise, doch der Premier fröstelte.
(Aus den Aufzeichnungen der Imperialen Versammlung, 24. Juni 2311, Fragestunde)
MITGLIED HSIEN: … Euer Exzellenz, das Rote Kreuz berichtet von zahlreichen Vorfällen, bei denen Streitkräfte unter dem Kommando von Admiral Ivan Marais Grausamkeiten an Zivilisten verübt haben. Die Dokumente dazu sind zu den Akten genommen und stehen den Mitgliedern zur Verfügung … [Identifizierung der Datenbank-Information] … Möchte die Regierung zu diesen Vorfällen Stellung nehmen?
PREMIERMINISTER: Der First Lord der Admiralität wird für die Regierung antworten.
FIRST LORD: Bestimmte Dinge in Verbindung mit Operationen der Kriegsmarine unterliegen der Geheimhaltung, Mr Hsien, und können nicht öffentlich diskutiert werden.
HSIEN: Euer Exzellenz, die Regierung weicht der Antwort aus. Die Angelegenheit ist bereits der Allgemeinheit bekannt, daher kann sie in der Versammlung auch öffentlich diskutiert werden.
PREMIERMINISTER: Die Regierung ist sich dessen bewusst, Sir. Die Gründe für diese Handlungen unterliegen aber der Geheimhaltung.
HSIEN: Es gibt einen früheren Fall, der das Recht der Versammlung betrifft, zu erfahren, was …
PREMIERMINISTER: Es gibt auch frühere Fälle, die das Recht der Regierung betreffen, in Krisenzeiten Informationen zurückzuhalten, die die imperiale Sicherheit angehen.
HSIEN: Diese Krise spielt sich hunderte von Lichtjahren von hier entfernt ab …
PREMIERMINISTER: Sie scheinen sich nicht der Tatsache bewusst zu sein, dass der Feind jederzeit einen massiven Schlag gegen das Sol-System führen könnte. Wir haben bislang nicht geglaubt, die Zor könnten zu einem solchen Angriff fähig sein, aber sie haben unseren Glauben bei Pergamum widerlegt. Zu der Zeit gingen wir davon aus, die Zor würden nicht ihre eigene Verteidigung vernachlässigen, um einen solchen Angriff auszuführen. Und doch haben sie genau das getan. Solange noch ein einziges Sprungschiff der Zor existiert, befinden wir uns in einer Notsituation. Und so lange besitzt Admiral Marais die Befugnis, zu allen erforderlichen Mitteln zu greifen, um dagegen vorzugehen.
HSIEN: Soll das heißen, die Regierung heißt diese Grausamkeiten gut, Euer Exzellenz?
PREMIERMINISTER: Die Regierung weigert sich, jegliches Handeln von Admiral Marals’ Flotte als »Grausamkeit« zu bezeichnen, Sir.
HSIEN: Wird die Regierung dann auch die Beweise verwerfen, die vom Roten Kreuz vorgelegt wurden?
PREMIERMINISTER: Sofern sie die Vertretbarkeit des Handelns der Navy betreffen, Mr Hsien, lautet die Antwort ja.
Ted McMasters spielte lustlos mit dem Pad und überflog die Einsatzberichte Dutzender Kriegsschiffe der Navy. Er war nur zum Teil mit den Gedanken bei seiner Arbeit. Ausdrucke der Berichte der letzten Tage stapelten sich auf seinem Schreibtisch, hier und da waren Stellen markiert.
Der Premierminister und seine Regierung befanden sich in einer höchst unangenehmen Situation, überlegte McMasters. Ob es ihm gefiel oder nicht, die Regierung war gezwungen, Marais’ Handlungen gutzuheißen, da sie nichts dagegen unternehmen konnte. Für den Premierminister war es mehr eine Frage des Prinzips, da es um sein politisches Überleben ging. Das Eingeständnis, dass Marais nicht länger von der Regierung kontrolliert wurde, hätte für den Premier das Ende bedeutet.
Aber es stimmte ja auch. Marais konnte tun und lassen, was er wollte. Er war hundertdreißig Parsec von der Erde entfernt.
McMasters scherte es nicht, wie viele Zor – ob Soldaten oder Zivilisten – sterben mussten, wenn dadurch der Krieg gewonnen wurde. Es war die Vergeltung für Alya und Pergamum und ein Dutzend anderer Schlachten. Marais meinte es wirklich ernst, und zwar so ernst, wie es niemand für möglich gehalten hätte. Allerdings klangen seine Argumente auch schlüssig. Halbherziges Vorgehen war ebenso ausgeschlossen wie ein Waffenstillstand,
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