Beast
mehr, als er hinter mir herhumpelt. Wir sind bestimmt ein komisches Paar. Einmal ich, siebzehn, in Jeans, Turnschuhen und Kapuzenshirt, und dazu dieser alte Landstreicher mit dem Riesenhaarbatzen am Hinterkopf.
»Wie weit isses noch?«, ächzt mein Vater. Und: »Hast du was zu futtern dabei?«
Ich gebe ihm eine Banane. Er wirft die Schale ins Wasser.
Ich sehe mich um, ob wir allein sind. »Kennst du jemanden, der mir eine Knarre besorgen kann?«
Ich habe meinem Dad noch nie richtig in die Augen gesehen. Er hat gelbe Punkte in der Iris wie Funken. Ich schaue weg.
»Erst zeigst du mir das Vieh«, schnauft er.
Er ist in schlechter Verfassung. Er kann kaum mit mir Schritt halten und der Knöchel macht es auch nicht besser. Aber ich gehe nicht langsamer, bloß damit der alte Suffkopp nicht außer Puste kommt. Ich bin ihm gegenüber nicht so auf der Hut wie sonst. Vielleicht liegt es daran, dass er aussieht wie irgendein alter Penner, wie tausend andere auch. Er ist nicht mehr so gewieft wie gestern Abend im Wohnzimmer der Reynolds.
Unterwegs ächzt und brummelt er ununterbrochen und nuschelt irgendwas vor sich hin. Ich will weghören, |133| schnappe aber doch das eine oder andere Wort auf. Keins ist besonders schmeichelhaft für mich.
Als wir schon fast da sind, schaue ich wie üblich den Weg hinauf und hinunter. Zwar ist niemand zu sehen, aber ich fühle mich unwohl. Wahrscheinlich liegt es bloß daran, dass mein Vater dabei ist. Mich hat noch nie jemand herbegleitet.
»Pst!«, mache ich. Ihn herumzukommandieren ist ungewohnt, und ich bin insgeheim drauf gefasst, dass er mir mit dem Gürtel eins überzieht. Aber er stellt sein Gebrummel ein.
Wir schlagen uns in die Büsche und ich gehe voran.
Bestimmt mache ich einen Riesenfehler. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Ich kann immer noch sagen, dass ich mir alles nur ausgedacht habe. Wir können kehrtmachen und zurückgehen. Ich kann ihn bei seiner Hütte im Wald absetzen. Wenn ich nicht demnächst bei den Reynolds rausfliegen würde, täte ich das vielleicht auch. Und wenn ich wüsste, dass der Käfig ausbruchssicher ist.
Dad macht ein Riesentheater, als wir an die Dornenhecke kommen.
»Da kriech ich nicht durch, Stephen!«
Ich lasse ihn jammern und zwänge mich durch die Lücke. Wenn er es bis hierher geschafft hat, wird er jetzt schon nicht aufgeben. Und richtig, bald höre ich es hinter mir brummeln und knacken.
Von weitem sieht der Käfig ganz harmlos aus. An der Seite und hinten ranken sich Brombeersträucher daran hoch, und wie groß er eigentlich ist, sieht man erst, wenn man direkt davor steht.
|134| Mein Dad tritt gegen die Gitterstäbe.
»Was hast du da drin, Stephen?« Man hört Wasser strudeln. Er lässt das Treten und glotzt mich an.
Ich spähe hinein. Es stinkt schauderhaft verfault. Das ist mir noch nie aufgefallen. Als sich meine Augen an das trübe Licht im Käfig gewöhnt haben, sehe ich einen grauen Flügel am Gitter hängen. Arme Taube. Ich schaue auf das dunkle, strudelnde Wasser. An der Beckenumrandung ist eine neue grüne Algenlinie entstanden und weiter hinten dümpelt etwas im Wasser. Ein kleiner Fuß mit gelblichem, wolligem Fell und einem Huf dran. Ich weiche angewidert zurück. Hier am See weiden viele Lämmer. Wie zum Teufel ist eins hier reingekommen? Offenbar ist es irgendwie durchs Gitter geschlüpft und ins Wasser gefallen. Ich male mir die Szene aus und bekomme eine Gänsehaut. Das blökende Lamm strampelt verzweifelt, da taucht plötzlich ein Kopf mit einer langen Schnauze auf. Schnapp! Mir wird fast schlecht. Aber dann fällt mir ein, dass es umso unwahrscheinlicher ist, dass er irgendwann ausbricht, je mehr er zu fressen bekommt.
»Ich seh nix«, nörgelt mein Dad. »Du willst mich wohl verarschen.«
Auf einmal habe ich alles gründlich satt.
»Wenn du draufsteigst und runterschaust, siehst du ihn schon.« Ich höre mich selbst wie von weit weg. Es ist gar nicht mehr meine Stimme, es klingt, als ob ich unter Wasser spreche. Ich gebe meinem Vater den Schlüssel. »Balancier bis zur Luke und mach sie auf. Von oben kann man ihn besser erkennen, aber vielleicht musst du dich reinbeugen.« Es ist ein unwirkliches Gefühl, dass ihn endlich |135| jemand zu sehen bekommt, und zugleich wird mir dabei erst richtig bewusst, wie gefährlich er ist.
Mein Vater rüttelt probehalber am Gitter.
»Hält mich das überhaupt aus?«
»Es ist aus Eisen, aber ein paar Stangen sind lose.« Ich hole ein Hühnchen aus dem
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