Beast
ihn durchs Gitter, stupst meinen Kleinen in die gepanzerte Flanke.
»Hör auf damit, Dad!« Ich will ihm den Knüppel wegnehmen, aber er wehrt mich ab wie eine lästige Fliege. Was seine Körperkraft angeht, habe ich mich vertan. Ich dachte, ich wäre inzwischen fast so stark wie er. Irrtum. Ich glaube, er dreht vor lauter Angst durch. Ich setze mich ins Gras. Ich könnte mich auch verdrücken und die beiden sich selbst überlassen. Wieso sollte der Verdacht auf mich fallen, wenn mein Alter lebendig aufgefressen wird?
WUMS WUMS WUMS!
Das Scheppern hallt über den See, als das Reptil sich gegen das Gitter wirft. Dad kippt den letzten Schluck Whisky runter und schleudert die Flasche auf den Käfig.
»Hast mich nicht gekriegt, Saukerl, was? Hast dein Frischfleisch nicht gekriegt!«
Ich habe meinen Dad schon öfter so erlebt. Bloß war |143| das zuletzt auf dem Parkplatz vor einer Kneipe, wo er ein paar Typen angemacht hat. Worum es ging, weiß ich nicht mehr, jedenfalls hat er sich genauso aufgeführt wie jetzt, hat den starken Max markiert, und Selby und ich haben am Zaun gewartet und gehofft, dass er endlich die Klappe hält, damit wir nicht alle drei verdroschen werden.
WUMS WUMS WUMS!
Eine senkrechte Stange ist locker. War das schon immer so? Ganz in der Nähe stehen ein paar hohe Bäume. Sonst gibt es hier nur Farnkraut, Gras und Schafsköttel. Nichts, was irgendwie Schutz bieten könnte.
WUMS WUMS WUMS!
Jetzt rastet mein Alter völlig aus. Er verliert den Verstand – stößt den Knüppel durchs Gitter und lacht sich schlapp. Ich sehe ihm aus sicherer Entfernung zu, aber mein Blick wandert immer wieder zu der losen Stange.
Ein Kribbeln überläuft mich, als ich sehe, dass noch eine Stange wackelt. Nein, es sind sogar noch mehr. Vier lose Gitterstangen schwingen unter dem Käfigdach hin und her.
WUMS WUMS WUMS!
Er kann nicht raus, rede ich mir ein. Er kann die Stangen nicht auseinanderdrücken. Die sind aus Eisen. »Hör auf, Dad!«
|144| Aber mein Dad kann nicht aufhören, wenn er so drauf ist. Er macht so lange weiter, bis entweder er oder jemand anders eins in die Fresse kriegt oder bis die Polizei kommt. Beides ist im Moment ausgesprochen unwahrscheinlich.
»Er ist saugefährlich!« Meine Stimme überschlägt sich. Ich verliere die Nerven.
»Dir werd ich’s zeigen, du Mistvieh!«, schnauft Dad.
Schlimmer hätte es nicht kommen können.
WUMS WUMS WUMS!
Ich hab mal gehört, dass die meisten Leute kurz vorm Sterben eins von diesen drei Wörtern sagen:
Gott
Mama
Scheiße
Ich sage: »Scheiße.«
Ich bin starr vor Schreck und mein Vater schreit auf, als sich das Vieh mit seinem ganzen Gewicht gegen das wacklige Gitter wirft. Es streckt den Kopf durch die Stangen. Sein Riesenmaul sieht abstoßend aus. Mir stockt der Atem. Mit einem Ruck zwängt er den Rumpf hindurch und plumpst ins Farnkraut. Mein Kleiner hat’s geschafft. Er bewegt sich so flink, dass es zwecklos ist wegzulaufen. Ich mache mir vor Angst fast in die Hose und kann mich nicht rühren. Seine schiere Größe verschlägt mir den Atem. Ich schätze ihn auf vier Meter.
Jemand ruft etwas. Ich weiß nicht, ob ich es bin oder Dad. Das Tier tappt zielstrebig in Richtung See. Ich sehe |145| dem verschwommenen dunklen Fleck gebannt nach, sonst nehme ich nichts um mich herum wahr. Er läuft wiegend wie ein Dinosaurier und macht mit dem kräftigen, breiten Schwanz alles platt. Er klettert die Böschung runter und ich sehe grade noch, wie er über den groben Kies in den See gleitet.
Das Wasser schließt sich über ihm. Etwas Dunkles schwimmt in den Stausee hinaus.
Weg ist er.
|146| Fünfzehn
Nummer 11: mit siebzehn ein menschenfressendes Krokodil in einem Stausee ausgesetzt.
Ich fahre wie ein Bekloppter.
Im Stausee von Gruton treibt sich ein Killer herum. Ich weiß, wozu er fähig ist, ich habe mich im Internet informiert. Er ist ein
Crocodylus porosus
, ein
Pukpuk
, ein Leistenkrokodil. Auch Salzwasserkrokodil genannt, weil er sowohl im Meer als auch in Süßwasser leben kann. Er kann bis zu sechs Meter lang und bis zu siebzig Jahre alt werden. Bald wird er auf Nahrungssuche gehen. Salzwasserkrokodile erlegen ihre Beute, indem sie ihr auflauern und sie urplötzlich anfallen. Sie fressen alles, was ihnen in die Quere kommt. Reiner Selbsterhaltungstrieb. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er ein Schwein mittendurch gerissen hat. Ich habe erlebt, dass er sich auf mich stürzen wollte. Ich glaube nicht, dass er dort
Weitere Kostenlose Bücher