Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
dass ich in der ganzen Aufregung der letzten Wochen meine Freunde lange nicht mehr wirklich gesehen habe. Ich merke, wie glücklich ich bin, hierzu sein, auch wenn die Umstände vielleicht seltsam sind. Ich brauche jetzt ihre Nähe ganz besonders, um mich rückzuversichern, dass alles gut ist und ich das Gefühl habe, Paris ist mein Zuhause.
»Was ist los?«, frage ich Zack und Jay, als wir die Treppe zu Alex' Unterkunft hochsteigen.
»PJ ist abgehauen«, sagt Zack, bevor Jay antworten kann. »Sie hat Paris verlassen, aber wir wissen nicht, wohin oder warum sie geflüchtet ist.«
Alex sieht hager und eingefallen aus, als sie die Tür aufmacht und mit uns in ihr Zimmer geht. Sie kauert sich auf den Fenstersims und ertrinkt fast in ihrem weiten Sweatshirt. Bestimmt saß sie so schon da, bevor wir geklingelt haben, rauchte beschallt von ihren edlen Bose-Kopfhörern, die ihr jetzt um den Hals hängen, und aschte aus dem Fenster. Bei Marithe gelten strenge Regeln, was das Rauchen in der Wohnung angeht - Alex weiß nur zu gut, dass das absolut tabu ist. Aber der Geruch, der im ganzen Zimmer hängt, verrät mir, dass Alex trotzdem schon den ganzen Vormittag hier drin geraucht hat.
Ich schnappe mir ihren iPod, um nachzusehen, was sie sich angehört hat.
»Edith Piaf? Himmel, Alex, was ist denn passiert?«
Mit den Kopfhörern, in Kombination mit dem viel zu großen Sweatshirt mit Kapuze, sieht sie ziemlich taff aus. Ihr Gesicht hat etwas Verhärmtes und Mitgenommenes, so als ob ihr in ihrem kurzen Leben bis jetzt schon so einiges untergekommen wäre. Es ist ganz untypisch für Alex, sich so gehen zu lassen.
»Tja, ich wünsche euch auch frohe Weihnachten«, sagt Alex feixend zu uns. »Nichts ist passiert. Ich fühle mich in letzter Zeit einfach nur ein bisschen krank.«
»Hier drin ist es ja auch saukalt«, kommentiert Jay, und mir wird bewusst, dass es, egal was mit Alex los ist, nicht sehr feinfühlig von uns war, Jay mitzubringen - sie kennt ihn ja kaum.
»Jay, es tut mir echt leid«, sage ich deshalb schnell, »aber könntest du uns mal kurz mit Alex allein lassen?«
»Klar«, sagt Jay sofort bereitwillig, obwohl ich weiß, dass er gern schnell zum Punkt gekommen wäre.
Zack lässt sich neben Alex fallen und schließt das offene Fenster hinter ihrem Rücken. »Willst du uns nicht sagen, was los ist?«
Alex zuckt mit den Schultern. »Nicht viel wie ihr seht.«
Ich blicke mich im Raum um, ein Ort des Grauens. Ein furchtbarer Gestank nach verrottendem Essen dringt unter ihrem Bett hervor. Überall liegen Kleider verstreut herum, dazu leere Schachteln und Zigarettenpackungen, die in Richtung Papierkorb geworfen wurden, aber diesen nicht getroffen haben.
»Alex, ist alles in Ordnung?«, frage ich, als mir plötzlich klar wird, dass wir Alex anscheinend mitten in einer tiefen Depression angetroffen haben. Ihr Gesicht ist hager und ihr Blick von verborgenen Sorgen getrübt.
»Ja, mir geht es gut«, fährt sie mich an. »Aber was führt euch hierher, dass ihr meine tragische Unpässlichkeit stört?«
»Uns kannst du es doch sagen«, rede ich auf sie ein.
»Ist es wegen George?«, fragt Zack und dreht sanft ihr Gesicht zu sich. »Ist etwas passiert?«
»Ha!«, knurrt Alex. »Das hätte er wohl gern.«
»Oder ist es deswegen, weil deine Mom nicht nach Paris gekommen ist?«, frage ich.
»Nein! Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht kommen soll. Ich hasse sie.«
Zack und ich wechseln einen Blick. Vielleicht ist es doch schlauer, später noch mal wiederzukommen, wenn es Alex etwas besser geht. Hinter dem Zeitschriftenstapel auf Alex' Nachtkästchen schaut ein Umschlag hervor. Der Absender ist ganz eindeutig das »Programme Americaine«. Das muss ihre Final-Comp-Note sein. Ist Alex wegen ihres Testergebnisses so niedergeschlagen? Oder ist es noch etwas Schlimmeres?
Jay klopft an die Tür. »Kann ich wieder reinkommen?«
»Ja«, ruft ihm Alex zu. »Kein Problem.«
Also kommt Jay wieder herein und wir fordern ihn auf, Alex die Postkarte zu zeigen, die er heute frühmorgens von PJ bekommen hat.
»Wir glauben, dass sie abgehauen ist, dass sie in irgendwelchen Schwierigkeiten steckt.«
Alex schnaubt. »Na klar. Das einzige Problem mit PJ ist, dass sie eine Idiotin ist«, sagt sie gehässig. »Habt ihr das nach dieser langen Zeit noch immer nicht begriffen?«
»Alex!«, schimpfe ich. »Wir machen uns wirklich Sorgen. Und sie ist keine Idiotin.«
»Alex«, wirft Jay ein. »Du kennst Frankreich besser als wir. Wenn wir
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