Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
Okay, wenn ich schon nicht bei Mme. Brigitte bleiben kann, dann will ich wenigstens in ihrer Stadt sein.«
Mir wird bewusst, wie sehr Paris mich schon bezaubert und in seinen Bann geschlagen hat. Selbst wenn ich mich manchmal nach meiner Familie und Vince sehne, habe ich meine Entscheidung hierherzukommen, schon lange nicht mehr angezweifelt. Meine Mom hatte recht. Es war das Beste, was ich im Hinblick auf meine Zukunft machen konnte, egal wie sehr es mich auch schmerzt, so weit von Kalifornien entfernt zu sein. Ich lerne so ungeheuer viel!
»Olivia«, flüstert Thomas leise. »Tu es si belle ce soir.« Wie ein kleiner Junge legt er seinen Kopf auf meinen Schoß. Sein gelocktes Haar sieht im Schein des Windlichts auf der Terrasse golden aus. Wieder verschlägt es mir die Sprache, wie jung und unschuldig Thomas wirkt, gleichzeitig aber auch ganz weise. Dafür, dass er so klug, so motiviert und ehrgeizig beim Studium ist, ist Thomas erstaunlich ausgelassen und fröhlich. Er schließt die Augen. Seine Wimpern sind lang und dunkel.
»Findest du?«, frage ich nervös. Er findet mich heute Abend wirklich schön?
»Tu es toujours si belle«, sagt Thomas sanft. »Du bist immer hinreißend.«
Während seine Augen noch immer geschlossen sind, beuge ich mich zu seinem weichen Gesicht hinunter. Irgendetwas zieht meine Lippen zur zarten Haut seiner Wange, seiner Stirn, seiner Nasenspitze hin. Bei jedem sanften, kleinen Kuss entweicht ein leiser, gieriger Laut aus Thomas' Kehle.
Fast bin ich bei seinem Mund angelangt, der vom Caber- net Sauvignon, den er getrunken hat, während er mich überall herumgetragen hat, rot befleckt ist. Ich öffne meine Lippen nur ein ganz kleines bisschen und atme aus. Da bewegt sich Thomas. Er hebt den Kopf, setzt sich auf und auf einmal weiß ich, dass er mich küssen will. Es liegt so eine Spannung in der Luft, dass ich nicht möchte, dass dieser Augenblick je endet.
Dann, endlich, küssen wir uns. Er kniet vor mir, auf derselben Höhe wie ich im Gartenstuhl, und wir küssen und küssen und küssen uns. Meine Angst über das, was da gerade geschieht, lässt mich körperlich ganz starr werden und etwas Abstand zu ihm halten, bis ich es irgendwann einfach nicht mehr aushalte. Schon bald kann ich meine Hände nicht mehr von ihm lassen. Ich klammere mich an seinen schmalen Körper, fahre mit den Fingerspitzen durch sein seidenes Haar und hinten seinen Nacken hinab.
Das ist jetzt keine Alberei mehr. »Ich sollte nicht hier sein«, murmle ich, auch wenn ich mich nicht wirklich erinnern kann, wieso.
Aber dann fällt es mir wieder ein. Oh Gott, was habe ich getan?
Ich reiße mich von Thomas los.
Ich sehe wieder vor mir, wie Vince und ich nebeneinander in seinem Bett im UCLA-Studentenwohnheim liegen und einander versprechen, dass wir uns so lange füreinander aufheben, bis ich wieder aus Paris zurück bin. Dabei haben wir nicht nur Sex gemeint - sondern alles.
Ich weiche Thomas' Blick aus. Ich kann ihn einfach nicht ansehen. Thomas nimmt mein Gesicht in seine Hände,
»Was ist los? Qu'est ce qui c'est passe?« Schamtränen laufen mir über die Wangen.
»Olivia!« Ich höre, wie sich mit einem Quietschen die Schiebetür zur Küche der Marquets öffnet. Erstarrt steht PJ vor uns. Jay ist direkt hinter ihr, aber als er mich in Thomas' Armen sieht, reißt er die Augen auf und geht wieder hinein.
»Olivia!«, wiederholt PJ. »Es - es tut mir leid... Was ist mit Vince?«
»PJ!« Ich ringe nach Luft.
»Wer ist Vince?«, fragt Thomas und lässt mich los. »Qu'est ce que tu racontes? Was erzählst du da?«
Fröstelnd in meinem ärmellosen Kleid, stelle ich mich schnell neben PJ. »Sag bitte niemandem, wäs du gesehen hast. Versprichst du mir das?«
PJ nickt mir zu. »Ja klar.« Sie kann Thomas ebenfalls nicht ansehen.
»Wer ist Vince?«, fragt Thomas wieder, noch immer verwirrt, aber langsam auch zunehmend beunruhigter.
»Vince est mon petit ami«, erkläre ich Thomas schlicht und schäme mich so, dass ich in hemmungsloses Schluchzen ausbrechen könnte. »Mein Freund in Kalifornien. Wir sind seit zwei Jahren zusammen.«
»Oh«, sagt Thomas. »Dann sammle ich wohl besser meine Kumpels ein und gehe. Danke, dass du's mir erzählt hast.«
Er läuft an mir vorbei. Ich will ihn aufhalten, um ihm alles zu erklären, aber er schüttelt mich nur ab.
Es ist auch egal. Ich wüsste sowieso nicht, wie ich es erklären sollte. Noch nie habe ich so wenig weitergewusst wie jetzt.
PJ stellt die Spülwanne ab.
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