Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
als mich meine Familie zum letzten Mal gesehen hat.
Natürlich ist es blödsinnig, sich über die Kleidung zu definieren, vor allem da ich ja mein halbes Leben in verschwitzten Trikots und Leggings zugebracht habe, aber in dieser Aufmachung fühle ich mich mehr wie eine junge Pariserin oder, noch besser, wie eine Studentin der Sorbonne. Und aus irgendeinem Grund ist mir das heute wichtig.
Ich hänge mir die Kette mit dem »0«-Anhänger von Tiffany um, die mir meine Mom letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat. Ja, so gefalle ich mir.
In der Metro, die langsam durch Paris zum Gare du Nord zuckelt, bin ich heute Morgen fast allein. Beim Umsteigen zahle ich den Zuschlag für den RER zum Flughafen. Langsam werde ich nun doch aufgeregt. Ein Mann in einem Geschäftsanzug und einem Koffer auf Rollen starrt mich von der anderen Seite des langen Gangs an. Als ich nach unten schaue, merke ich, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes die Hände ringe.
Als Erstes sehe ich meine Mom.
Lange Haare mit aufgehellten Strähnchen, vom Friseur in San Diego, bei dem ich früher auch immer gewesen bin. Sie trägt ein rosa Sweatshirt mit Kapuze und geöffnetem Reißverschluss, darunter ein grünes Tank-Top mit Spaghettiträgern zu Seven-Jeans und Lammfellstiefeln - fast so, als wäre sie ein Teenie. Typisch Mom.
Dad zieht sie verschlafen durch den vollen Flughafen hinter sich her. An der anderen Hand hält er Brian so fest, als könnten die vielen Franzosen ringsherum ihn jeden Augenblick entführen. Dad hat eine Jeans und eine Sportjacke an - er wirkt nicht ganz wie ein zu groß geratener MTV-Fan wie Mom. Allerdings trägt er keine Socken in seinen Sneakers, so als hätte er mit zwanzig Grad gerechnet, wenn er aus dem Flugzeug steigt, und nicht mit fünf.
Brian hat seinen kleinen Rucksack und ein Kissen dabei und blickt starr vor sich auf den Boden. Als ich sein sommersprossiges Gesicht und seine roten Wuschelhaare sehe, versetzt es mir sofort einen Stich. Er muss ganz außer sich sein, von dem Flugzeug und dem belebten Terminal und dem Überschwang der Emotionen bei Mom und Dad und mir, und doch hält er sich ganz tapfer. Vorsichtshalber laufe ich nicht auf ihn zu - das wäre dann wohl der Tropfen auf den heißen Stein -, aber ich muss mich ziemlich zurückhalten, um ihn nicht zu umarmen. Wie konnte ich es ihm nur antun herzukommen? Und wie schafft er es bloß, sich so zusammenzureißen? Aber wenn ich eins sicher weiß, dann, dass man bei Brian eben nie so genau weiß.
Als meine Mom mich entdeckt, zieht sie mich mit einem Aufschrei ganz eng an sich. Ich drücke sie ebenfalls ganz fest, während die Menschenmengen links und rechts an uns vorbeiströmen. Oh Gott, wie ich Mom - wie ich alle - vermisst habe!
»Lass dich mal ansehen, du Hübsche«, sagt Mom nach einer Weile und hält mich auf Armeslänge entfernt. Plötzlich schaut sie ganz kritisch, als sie meinen dunklen Haaransatz sieht, und kaut hektisch auf ihrem Kaugummi herum.
»Oh, Liwy, deine Haare«, sagt sie missbiligend. »Na, um die kümmern wir uns, während ich hier bin.«
Mein Dad umarmt mich ebenfalls strahlend, dann führt er Brian liebevoll in meine Richtung, damit ich ihn umarmen kann, ohne dass er ausrastet. Berührt zu werden, mag er nämlich gar nicht, ganz besonders nicht ohne Vorwarnung.
Auf einmal fange ich an, wie ein Wasserfall zu reden - ich erkläre ihnen, wie wir ins Hotel kommen, wie eisig kalt es draußen ist ... Doch dann sehe ich plötzlich jemanden neben meinem Dad.
»Liwy, wir haben dir eine Überraschung mitgebracht!«, verkündet meine Mom mit fröhlicher hoher Stimme. Mein Herz setzt einen Schlag lang aus.
Neben meinem Dad steht Vince und lacht, wie lange es gedauert hat, bis ich ihn bemerkt habe.
Sofort heule ich los. Ich fühle mich auf einmal so schwach, dass ich kein Wort mehr herausbringe, nur Laute.
»Schau nur, wie glücklich sie ist!«, ruft meine Mom meinem Dad zu. Dann beugt sie sich zu Brian vor. »Schau, Süßer, sieh dir Liwy an. Sie ist glücklich.«
»Vince?«, sage ich. Ich bringe den Namen kaum heraus.
Vince steht in einer weiten Jeans im Hip-Hop-Stil und einem gelben Bruins-Sweatshirt vor mir. Durch den langen Flug hat er am Kinn sexy Stoppeln und er trägt seine Brille. Bestimmt hat die trockene Luft im Flugzeug seine Augen gereizt und er hat die Kontaktlinsen rausgenommen. Sein vertrautes Eau de Cologne - Polo von Ralph Lauren - füllt den Raum zwischen uns. Ich habe eines seiner getragenen T-Shirts mit nach Paris
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