Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
ich erfahren habe, dass sie verschwunden ist, werde ich das Gefühl nicht los, als Freundin versagt zu haben. Ich drücke die Daumen, dass Alex und die anderen sie bald finden und zurück nach Paris bringen.
»Nein, das Tanzen ist für mich keine Flucht«, erkläre ich André. »Es ist vielmehr der einzige Ort, an dem ich mich wirklich zu Hause fühle.«
Die Treppenstufen zum Apartment renne ich hoch. Noch ehe ich ganz oben bin, hat Thomas die Tür geöffnet und Licht fällt auf sein hageres hübsches Gesicht. Als er mich sieht, leuchten sofort seine hellblauen Augen. Ohne ein einziges Wort falle ich ihm in die Arme. Der weiche, abgetragene Cord seInès Blazers fühlt sich nach der Kälte des Winterabends wunderbar einladend an. Ich schlinge meine Beine fest um seine schmalen Hüften. Er trägt mich ins Zimmer und küsst mich auf dem ganzen Weg dahin innig auf den Mund.
4 • ZACK
Am Steuer
»Das ist nicht dein Ernst!«, stoße ich hervor, als Alex mich wie nebenbei informiert, dass Olivia nicht mit nach Montauban kommt.
»Doch«, sagt Alex und lässt ihren BlackBerry wieder in ihre große kamelfarbene Tragetasche gleiten, die sie immer mit sich rumschleppt. »Aber ich soll euch allen liebe Grüße von ihr ausrichten.«
Ich starre auf die Mitarbeiterin der Autovermietung, eine junge, burschikose Asiatin, die etwa einen Meter von uns entfernt gerade mit Jay den Mietvertrag durchgeht. Eigentlich müsste ich zuhören, da sie die Kreditkarte meiner Eltern für die Versicherung und Unvorhergesehenes eingelesen hat, falls uns unterwegs etwas passiert. Aber ich kann nur noch eInès denken: dass Olivia mich total im Stich gelassen hat.
»Hat sie denn gesagt, warum?«, frage ich. Ich klinge viel gekränkter, als ich eigentlich will.
»Aber natürlich«, antwortet Alex. »Sie tanzt bei einer Aufführung zu Silvester, der Revue Bohème. Das ist eine ziemlich große Sache. Ich freue mich schon darauf, sie zu sehen.«
»Seid ihr abfahrbereit?«, fragt Jay und klimpert mit den Schlüsseln. In der Winterluft sieht man seinen Atem. »Das Auto steht draußen auf dem Parkplatz.«
»Aber klar!«, ruft Alex und lässt ihr Spearmint-Kaugummi platzen. »Ich kann's kaum erwarten!«
Ich trotte hinter den beiden her. Als Alex und ich heute Morgen kurz nach sieben am Gare Montparnasse eingetrudelt sind, war Jay schon da. Er sah ruhelos aus. Ein leerer Kaffeebecher stand neben ihm auf der Bank.
»Na, du bist ja früh auf«, bemerkte ich freundlich, als wir auf den Platz vor dem dunklen Bahnhof zugingen und er uns entdeckte. »Wartest du schon lange?«
»Ich hab nicht geschlafen«, sagte Jay, ohne zu lächeln, und so kurz angebunden, dass es wehtat. »Lasst uns gehen. Ich habe die Preise schon im Internet gecheckt, für Fahrer unter 18 ist Eurauto am billigsten.«
Nachdem der ganze Papierkram erledigt ist, folgen wir Jay über die Rolltreppe ins Erdgeschoss hinunter, wo sich die ganzen Autovermietungsschalter befinden. Er hat einen olivgrünen Kapuzenpulli unter einem schönen schwarzen Wollmantel an und trägt kohlegraue Chinohosen zu seinen Chuck Taylors. Er hat sich deutlich mehr herausgeputzt als sonst. Ob er seine Kleidung heute Morgen wohl deshalb so sorgfältig ausgewählt hat, weil er gut aussehen will, wenn er nach Montauban rauscht, um seine große Liebe zu retten?
»Neuer Pulli?«, frage ich ihn.
»Jep«, sagt er abgelenkt, während er den Blick über die große leere Erdgeschosshalle wandern lässt. »Den hat mir meine Mom zu Weihnachten geschickt.«
»Oooooh«, sagt Alex. »Gefällt mir. Weiter so, Mom.« Sie befingert den weichen Kapuzenstoff. »Auch der Mantel ist schön. Ich liebe es, wenn Männer stilvoll auf Reisen gehen!«
Jetzt muss Jay doch lächeln. »Du wirst gleich laut lachen, wenn du das Auto siehst.« Er grinst. »Wart's ab.«
Ich wusste, dass Jay sich nach dem preiswertesten Viersitzer erkundigt hat, aber trotzdem hätte ich nie gedacht, wie schlimm es werden würde. Als wir hinten aus dem Bahnhof rausgehen, zeigt Jay auf den Parkplatz, auf dem unser Mietauto steht.
»Oh Mann«, sagt er kaum hörbar. Und Alex schreit spitz auf.
Bei dem Auto handelt es sich um ein altes Modell, von dem ich noch nie in meinem ganzen Leben gehört habe. Wahrscheinlich produzieren die schon seit Ewigkeiten keine Autos mehr. Der kleine Sedan in Blaugrün mit dazu komplementären violett-roten Sitzpolstern hat an beiden Seiten einen geschmacklosen rosafarbenen Streifen.
»Das ist doch kein Auto!«, kreische ich.
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