Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
Aufzug, der uns in das oberste Stockwerk bringt. Die Gebäude in Frankreich, vor allem in Kleinstädten wie Montauban, sind nicht besonders hoch, weil sie so alt sind. Ein Penthouse in Frankreich ist also etwas ganz anderes als eins in New York. Nichtsdestotrotz ist dieses Penthouse eine der beeindruckendsten Wohnungen, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Und dabei habe ich echt schon eine Menge sehr beeindruckender Unterkünfte gesehen. Schließlich bin ich auf die Brooklyn Prep gegangen. Das ist beste Schule in ganz Brooklyn, manche sagen sogar, es sei die beste in ganz New York. Meine Klassenkameraden sind alle die Kinder von VIPs. Da kommt man natürlich viel herum!
M. Garty schließt mithilfe einer Hightech-Karte die holzvertäfelten Eingangsflügeltüren auf. Dann tippt er den Sicherheitscode ein, damit die Alarmanlage nicht losgeht, und schaltet ein geschmackvolles rosafarbenes Licht nach dem anderen ein, die oben an der Gewölbedecke eingelassen sind. Die Wohnung meines Vaters ist spärlich möbliert und statt Wänden trennen große Freiflächen die Räume voneinander. Alles ist ziemlich altmodisch und wuchtig, wie der riesengroße, polierte Holztisch in der Küche, der die Bar ersetzt. Es ist offensichtlich, dass die Geräte und Entertainment-Systeme alle Highend-Produkte sind, dabei aber völlig unaufdringlich und elegant. Wie nicht anders zu erwarten, hat mein Vater in ein paar megateure Kunstgegenstände investiert: ein ziemlich verschnörkeltes großes Bild mit einer Gruppe französischer Kavalleristen, die in den Krieg reitet, und einen dieser Wandteppiche, wie man sie manchmal in Museen zu sehen bekommt, mit den üblichen Einhörnern und Mägden darauf. Im Met, also dem Metropolitan Museum im New York, haben sie ein paar davon.
»Mon Dieu«, raunt Zack. »Da ist die Wohnung der Marquets ja nichts dagegen.« PJs Gasteltern sind im ganzen Lycée bekannt dafür, dass sie von allen Gastfamilien die edelste Unterkunft haben.
»Da hast du recht«, stimmt Jay zu. »Schaut euch nur mal den Fernseher an!« Er deutet auf einen Flachbildschirm, der gegenüber der Küche an der Wand angebracht ist. Der ist so gigantisch, dass man ohne Mühe von jedem Punkt im Apartment aus fernsehen kann.
M. Garty führt uns zu einer Treppe, die hinter dem Badezimmer versteckt ist, und als wir hochsteigen, finden wir oben ein großes Schlafzimmer, ein weiteres Bad und ein kleines Gästezimmer.
»C'est le clocher«, erklärt M. Garty. Ich schaue zu Zack.
»Der frühere Glockenturm«, übersetzt Zack mir.
Na, wenn das nicht göttlich ist?
Als wir im Schlafzimmer die Vorhänge aufziehen, kann ich unter mir die ganze Stadt im Lichterglanz sehen: die Brücke, den Marktplatz, all die schummrig beleuchteten Bistros, in denen langsam das Abendessen serviert wird.
»C'est très agréable. Wirklich, sehr ansprechend. Merci beaucoup.« Ich gebe M. Garty einen Wink. Voller Gottvertrauen gibt er mir einen Zweitsatz an Schlüsselkarten (eine für mich und eine, die ich an Jay weiterreiche). Zu jeder Karte gibt es einen kleinen Zettel dazu, auf dem handschriftlich der Sicherheitscode der Alarmanlage steht. Als M. Garty das Apartment verlässt, erwische ich Zack und Jay dabei, wie sie sich selig angrinsen, offenbar ganz hingerissen von der piekfeinen Unterkunft. Ich kehre ihnen den Rücken zu. Sie haben ja keine Ahnung, was ich gerade abgezogen habe und dass mein Vater nicht den blassesten Schimmer davon hat, dass wir hier sind. Und dass er es wahrscheinlich überhaupt nicht prickelnd finden würde, wenn er es wüsste.
Später am Abend, als ich ins große Doppelbett schlüpfe, in dem Zack bereits schläft, starre ich auf das blaue Display von meinem BlackBerry. Irgendwann werde ich meine Mutter wohl zurückrufen müssen. Wer weiß, ob sie nicht schon Wind von meinem nicht allzu guten Stand (oder besser: völligen Versagen) am Lycée bekommen hat. Aber was soll ich ihr sagen? Außerdem kümmert sie sich ja wohl überhaupt nicht um mich und mein Glück. Das hat sie mir im vergangenen Schulhalbjahr unmissverständlich klargemacht, indem sie mir das Konto gesperrt hat und ich ganz auf mich selbst gestellt war. Und dann ist sie noch nicht mal zu Weihnachten aufgetaucht. Wenn sie diesen Tag nicht mit mir verbringen will, fein. Das beruht auf Gegenseitigkeit.
Ich drücke LÖSCHEN, ohne auch nur die Mailbox abzuhören, schalte das Handy aus und stecke es unter das Kissen. Dann kuschle ich mich in die Daunendecke, blicke aus dem dunklen
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