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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Cohen
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eine Nackte, die sich bei minus vierzig Grad im Schnee rollt. Hier ist eine Frau, die bis zum Hals in einer Schneewächte neben dem gefrorenen Fluss steckt. Sie spricht in dieser seltsamen Position den Rosenkranz und erinnert uns daran, dass die indianische Übersetzung dieses Engelsgrußes doppelt so lang ist wie die französische. Hier ist ein nackter Mann, der ein Loch ins Eis gehackt hat und sich gerade bis zur Hüfte hineinsinken lässt, um das »plusiers dizaines de chapelet« zu rezitieren. Er zieht seinen Körper heraus wie eine eisige Meerjungfrau, mit einer nun dauerhaften Erektion. Hier ist eine Frau, die ihre dreijährige Tochter mit in ein Loch genommen hat, damit sie ihre Sünden bereits im Voraus büße. Diese Konvertiten konnten den richtig harten Winter kaum erwarten, sie reckten ihm ihre Körper entgegen, und er strich über sie wie ein riesiger eiserner Kamm. Auch Catherine Tekakwitha bekam ihr Eisengeschirr, stolpernd erfüllte sie ihre Pflichten. Mit St. Thérèse konnte sie sprechen: »Ou souffrir, ou mourir.« Catherine Tekakwitha ging zu Anastasie und fragte:
    – Was meinst du, was ist das Schrecklichste, Schmerzhafteste, das man sich antun kann?
    – Meine Tochter, ich kenne nichts, das schlimmer ist als Feuer.
    – Ich auch nicht.
    Das Gespräch ist überliefert. Es fand im kanadischen Winter des Jahres 1678 am Ufer des vollständig zugefrorenen Flusses statt, gegenüber von Montréal. Catherine wartete, bis alle schliefen. Sie ging zum Kreuz hinunter und entzündete ein Feuer. Die nächsten Stunden verbrachte sie damit, mit den glühenden Kohlen ihre abscheulichen Beine zu streicheln, so wie es die Irokesen mit ihren Sklaven machten. Sie hatte es gesehen, sie hatte immer schon wissen wollen, wie es sich anfühlt. So brannte sie sich das Zeichen ein, das sie als Sklavin von Jesus kennzeichnete. Ich weigere mich, die Sache interessanter zu machen, alter Freund, es würde dir nicht gut tun, die ganze Bildung, die ich dir habe zukommen lassen, wäre umsonst gewesen. Es geht hier nicht um Unterhaltung. Dies ist ein Spiel. Außerdem weißt du längst, wie Schmerz aussieht, diese Art von Schmerz, du hast dir ja in Belsen den Film angesehen.

5.
    Catherine Tekakwitha kniete am Fuß des Kreuzes, sie betete und fastete. Sie bat nicht darum, dass ihre Seele im Himmel bevorzugt würde, sie fastete nicht in dem Wunsch, dass ihre Ehe niemals in die Geschichte einginge. Sie ritzte sich nicht mit Steinen den Bauch auf, damit die Mission blühen und gedeihen würde. Sie wusste nicht, warum sie betete, wofür sie fastete. Es war ein armer Geist, der zu ihrer Selbstkasteiung führte. Glaub aber nicht, dass die Stigmata nicht wehgetan hätten. Triff niemals eine Entscheidung, wenn du pinkeln musst. Bleib nie im Zimmer, wenn deiner Mutter die Karten gelegt werden. Glaub nicht, dass dich der Premierminister beneidet. Mein Lieber, du siehst, ich muss dich in eine Falle locken, die auf einem Altar steht, bevor ich dir etwas erzählen kann. Sonst nimmst du meine Weisungen nur als Schlagzeile, als trendiges Logo.

6.
    Sie streunte durch die Laubwälder am Südufer des St.-Lawrence-Stroms. Sie sah das Reh aus dem Dickicht springen, im hohen Bogen – und lauschte und erblickte gleich darauf das Kaninchen, das in einer Höhle verschwand. Sie hörte das Eichhörnchen in seinem Eichelvorrat wühlen. Sie entdeckte die Taube, die hoch oben in einer Tanne ihr Nest baute. Zweihundert Jahre sollte es noch dauern, bis die Tauben alles hinschmeißen und sich auf den Statuen am Dominion Square einrichten würden. Sie sah die Scharen der Wildgänse am Himmel, formiert wie wacklige Pfeilspitzen. Sie fiel auf die Knie und rief: »Oh, Herr des Lebens, ist es notwendig, dass unsere Körper von solchen Dingen abhängen?« Dann saß sie eine Weile ganz still am Ufer. Sie sah die Tropfen, die vom springenden Stör herabfielen wie die Perlen eines Wampum-Gürtels. Sie sah den knochigen Barsch, schnell wie ein einziger Flötenton in einem ausgelassenen Lied. Sie sah den langen, silbernen Hecht, und gleich darunter die Flusskrebse, jeder bewohnte seine eigene Wasserschicht. Sie hielt die Fin ger in den träge dahinfließenden Strom und rief: Oh, Herr des Lebens, ist es notwendig, dass unsere Körper von solchen Dingen abhängen?« Langsam kehrte sie in die Mission zurück. Sie sah den gelben, vertrockneten Mais auf den Feldern, deren Fäden im Wind raschelten wie eine Horde betagter, ritueller Tänzer. Sie sah die kleinen

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