Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
mit langen Schößen, ihren schwarzen Hosen und den schweren Stiefeln, die so gut für ihre Arbeit in Schlachthäusern und bei Einsätzen der Feuerwehrbrigaden geeignet waren. Ein Bowery Boy verstand sich nicht als Dandy, hielt jedoch viel auf ein fein herausgeputztes, modisches Erscheinungsbild. Und sein besonderer Stolz galt seiner Lust am Abenteuer und seiner Unabhängigkeit, die manchmal an Radikalität grenzte und ihn so zum Verbündeten radikaler Gruppen innerhalb der Demokratischen Partei machte.
Die Gegenspieler der Bowery Boys waren in Five Points jene Männer, die sich recht hochtrabend als sporting men bezeichneten. Der Sport, den sie sich auf die Fahnen geschrieben hatten, bestand jedoch nicht in irgendeiner Form der Körperertüchtigung, die Training und Disziplin verlangte, sondern meinte das Kartenspiel, das Stemmen von Bier- und Branntweingläsern und das Wetten bei Boxkämpfen. Ihre bevorzugten Treffpunkte waren üble Tavernen wie das Boss Thompson’s und Vultee’s Old Corner auf der Westseite von Chatham Street sowie Big Jerry Tappen an der Ecke Pearl, wo die brutalsten Faustkämpfe stattfanden, die oftmals im Publikum fortgesetzt wurden. Und während die meisten Bowery Boys einer geregelten Arbeit nachgingen, zählte ein beständiges und ehrliches Tagewerk nicht zu den Dingen, denen die Sporting Men viel Bedeutung beimaßen. Kein Wunder, dass Frederik Brown sich in ihrem Kreis verstanden und gut aufgehoben fühlte.
Im Juni hörte Becky zum ersten Mal von Coffin und anderen Straßenkindern, dass in der Stadt ein schon lange schwelender Machtkampf zwischen zwei rivalisierenden Gruppierungen innerhalb der regierenden Partei der Demokraten in offene, unversöhnliche Feindschaft ausgebrochen war.
»Ich sage euch, das gibt einen heißen Sommer, wenn unser neuer Bürgermeister Fernando Wood sich gegen seine Rivalen in der Partei nicht durchsetzen kann«, prophezeite Coffin eines Abends, als Becky und er, Daniel und einige andere Straßenkinder auf einem leeren Baugrundstück auf der Baynard Street um ein kleines Feuer saßen und in einer alten, verbeulten Pfanne Erdnüsse rösteten.
»Worum geht es denn bei dem Streit überhaupt?«, wollte Becky wissen.
»Natürlich darum, wer in der Stadt die Kontrolle über all die vielen lukrativen Einnahmequellen hat und wer wem die Taschen mit Schmiergeldern füllt«, sagte ein spindeldürrer Junge namens Heribert Schulz, der einen Zigarrenstumpen rauchte und auf den Spitznamen Harry hörte. »Denn raffgierige Ganoven, die zuerst einmal an sich und ihre fette Geldbörse denken, sind diese feinen Herren in Tammany Hall, unserm Rathaus, doch allesamt! Da ist keiner besser als der andere!«
»Hast schon Recht, Harry«, stimmte Coffin ihm zu und sagte zu Becky gewandt: »Aber Fernando Wood ist immer noch einer von den etwas weniger Skrupellosen. Und dass ausgerechnet er letztes Jahr die Wahlen gewonnen hat, schmeckt einer anderen mächtigen Clique in der Partei ganz und gar nicht.«
»Deshalb hat es ja letztes Jahr nach den Wahlen schon Krawalle gegeben«, warf der Zeitungsjunge Timothy Clyde ein, der in Coffins Alter war und die Erdnüsse in der Pfanne mit einem Holzspachtel hin und her schob, damit sie nicht anbrannten.
»Die mit Wood verfeindeten Demokraten haben sich jetzt mit den Republikanern zusammengeschlossen, um ihm so viel Macht wie möglich wegzunehmen«, fuhr Coffin fort. »Und um ihn kleinzukriegen, ist ihnen kein Trick zu schmutzig. Jetzt haben sie etwas ganz Mieses ausgebrütet. Mithilfe der Regierung im fernen Albany, die den Staat New York unter ihrer Knute hat, sind sie auf die gemeine Idee verfallen, die Lizenz zum Ausschank von Alkohol so teuer zu machen, dass sich kleine Ladenbesitzer und Schankwirte, vor allem bei uns in Five Points, den Lappen nicht mehr leisten können.«
»Und sonntags soll nirgendwo mehr Alkohol ausgeschenkt werden!«, warf ein anderer grimmig in die Runde. »Das verdanken wir den verdammten Temperenzlern 3 , die das ganze Land trockenlegen wollen. Dann ist bloß noch Beten und das Singen von gottgefälligen Chorälen erlaubt!«
In der Runde erhob sich Gelächter, doch es war ein Lachen, in dem auch eine gute Portion Verachtung und Groll auf »die da oben« mitschwang.
»Aber das ist nur eine von den Gemeinheiten, die sich die sauberen Brüder um Woods Rivalen ausgedacht haben. Es kommt nämlich noch dicker, Becky«, setzte Coffin seine Erklärungen fort. »Um ihm das Wasser abzugraben...«
»Womit du wohl den
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