Bedroht
ihrer Tochter um, als das Auto wegfuhr. Hedda schüttelte den Kopf. Der Punkt war noch da.
»Es muss in einem Auto liegen«, sagte Lukas. »Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
Anna versuchte, in eine andere Richtung zu denken. Wenn nicht in einem der Autos, wo dann? Sie kniete sich hin und schaute unter die Autos. Dort lag nur Müll aus dem Hamburgerrestaurant. Sie nahm ihr Handy und wählte die Nummer ihrer Mutter.
Ein Klingelsignal ertönte, ganz in der Nähe. Es kam aus dem Mülleimer, in den der Vater die verschmierte Serviette geworfen hatte. Anna klappte den Deckel hoch und wühlte zwischen Papptellern, Pappbechern und zusammengeknüllten Servietten. Ganz unten lag das Handy.
»Ich habe es«, sagte Anna und hielt es triumphierend in die Höhe.
Sie fuhren über Ödåkra und Allerum nach Hause, an brachliegenden Äckern, Häusern, Bauernhöfen vorbei. Anna ging die Liste der nicht angenommenen Anrufe durch. Die meisten waren von ihr, drei waren von Ditte, ein weiterer von einer anderen Freundin. Die letzte gewählte Nummer war ihre eigene, und auch die letzte SMS war an sie gegangen.
»Wieso lag das Handy im Mülleimer?«, fragte Hedda.
Die Frage jagte Anna einen kalten Schauer über den Rücken.
»Wenn man ein Handy klaut, will man es doch wohl behalten«, fuhr ihre Tochter fort. »Dann schmeißt man es doch nicht in eine Mülltonne?«
»Kannst du einen Moment still sein, Liebling? Ich will Omas Voicemail abhören.«
Sie hörte ihre eigene Stimme, dann Dittes, dann wiederholte Male ihre eigene. Sonst hatte niemand eine Nachricht hinterlassen. Anna kehrte zu der Liste der zuletzt gewählten Nummern zurück. Die zwei letzten Anrufe waren an ihr Handy gegangen, einer an die Zentrale im Büro. Am Tag zuvor hatte ihre Mutter drei beziehungsweise neun Minuten lang mit Stockholmer Nummern telefoniert, die Anna nichts sagten.
»Du musst die Polizei verständigen«, sagte Lukas.
»Schatz …«
Sie warf ihm einen strengen Blick zu.
»Oh, natürlich. Entschuldige.«
Zu spät.
»Was?«, sagte Hedda vom Rücksitz.
»Nichts, Liebling.«
»Ist was mit Oma?«
»Das glaube ich nicht, es gibt sicher eine ganz banale Erklärung.«
»Warum musst du dann mit der Polizei reden?«
»Nur sicherheitshalber. Oh, ist es schon so spät? Wenn wir nach Hause kommen, dann geht es sofort ins Bett. Hast du schon was gegessen?«
»Ja.«
Hedda schaute aus dem Fenster. Anna streckte die Hand nach hinten und tätschelte ihr das Knie.
»Das war wirklich großartig, dass du Omas Handy gefunden hast.«
»Du hast es gefunden.«
»Aber nur dank dir. Dass es solche Ortungs-Apps gibt, wusste ich gar nicht. Hedda, weinst du?«
78
Anna überprüfte die Stockholmer Telefonnummern im Internet. Beide hatten dieselbe Adresse in Huddinge. Sie ging in den Garten und rief an. Lars Johansson ging nicht an den Apparat, und zu Hause bei Major Erik Wellin hob eine Barbro mit demselben Nachnamen den Hörer ab. Sie klang recht alt.
»Hallo, mein Name ist Anna Stenberg. Entschuldigen Sie bitte, dass ich so spät anrufe, aber es ist wichtig. Ich hoffe, dass Sie mir helfen können.«
»Ich kaufe nichts.«
»Ich will auch gar nichts verkaufen. Ich bin die Tochter von Kathrine Hansson.«
»Von wem?«
»Kathrine Hansson.«
»Ich kenne niemanden mit diesem Namen.«
Anna brach der kalte Schweiß aus. Hatte ihre Mutter ein Verhältnis mit dem Major? Hinter dem Rücken der ahnungslosen Majorin? Quatsch.
»Meine Mutter ist verschwunden, und ich habe hier ihr Handy, aus dem ich ersehe, dass sie letzten Montag bei Ihnen angerufen hat. Das Gespräch dauerte neun Minuten, und es wurde kurz nach sechs Uhr abends geführt.«
»Bitte?«
»Neun Minuten, das ist recht lang. Könnte sie mit … jemand anderem gesprochen haben?«
»Unter dieser Nummer erreicht man nur mich. Mein Mann ist schon seit vielen Jahren tot. Aber warten Sie, jetzt, wo Sie es sagen. Da war jemand und hat sich nach Anneli erkundigt. Das stimmt.«
»Anneli?«
»Eine Nachbarin. Sie ist tot. Ich hab nicht ganz verstanden, warum sie sich so für sie interessiert hat. Ich glaube, es war was mit dem Sohn.«
»Der Sohn?«
Lukas öffnete die Terrassentür und sah sie an. Anna hob die Hand. Sie wollte nicht gestört werden.
»Ja, es gab da diese Gerüchte«, sagte Barbro Wellin.
»Ich verstehe nicht recht.«
»Ein erwachsener Mann, der noch zu Hause bei seiner Mutter wohnt. Aber vielleicht hat er sich ja um sie gekümmert. Wer sich das Leben nimmt, kann ja nicht ganz
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