Bedroht
nacheinander seine Nachbarn im Kopf durch. Am Ende sah er ein, dass es wahrscheinlich gar kein Nachbar, sondern der Polizist gewesen war. Dieser dumme, fette Polizistenarsch, dem Anna einen Haufen Lügen aufgetischt hatte, diese Null, der die Frechheit besessen hatte, ihn in seinen eigenen vier Wänden einschüchtern zu wollen.
Das könnte ihn in Schwierigkeiten bringen. Tja, er würde einfach offen und ehrlich zugeben müssen, dass Kathrine bei ihm gewesen war. Sie ist hier gewesen, aber ziemlich schnell wieder gegangen, würde er sagen, was die Position des Handys bestätigen würde.
Erik stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und kleidete sich an. Er war auf dem Weg nach draußen, als er die Schale und den Pürierstab in der Küche bemerkte. Er hatte die Geräte zwar ordentlich gespült, beschloss aber, sie trotzdem zu opfern.
Er warf noch einen raschen Blick in seine ordentlich geputzte Wohnung, nahm die Tüten und ging.
72
Anna hatte den ganzen Vormittag effizient gearbeitet, alles Überfällige von ihrem Schreibtisch beseitigt und ein halbes Duzend Bildunterschriften für fertige Reportagen verfasst. Außerdem hatte sie sämtliche Mails beantwortet und zwei Termine für Fotoshootings vereinbart.
Das Telefon klingelte, und sie hob, ohne zu zögern, ab.
»Anna.«
»Hier ist Ditte.«
»Hallo, Ditte. Alles in Ordnung? Ist meine Mutter wieder abgereist?«
»Wieso?«
Es dauerte eine Weile, bis sich das Missverständnis aufgeklärt hatte. Kathrine war nicht bei Ditte gewesen. Von einem Besuch war auch nie die Rede gewesen.
»Aber wo war sie dann?«, fragte Anna.
»Vielleicht hat sie ja einen Mann kennengelernt?«, meinte Ditte begeistert.
»Das glaube ich nicht. Das hätte sie mir nie verheimlicht.«
»Wärst du so nett, ihr zu sagen, dass sie mich bei Gelegenheit anrufen soll?«
»Natürlich. Mach ich. Tschüs.«
Anna legte auf und starrte ins Leere. Hatte ihre Mutter Ditte mit einem spontanen Besuch überraschen wollen? War ihr auf dem Weg dorthin etwas zugestoßen? Sie wählte erneut die Nummer ihrer Mutter. Nach dem vierten Klingeln sprang die Mailbox an.
»Ditte hat angerufen«, sagte Anna. »Wo steckst du? Ist was passiert? Bitte, melde dich.«
Trude sah ihr die Unruhe an.
»Wann hast du zuletzt was von ihr gehört?«
»Gestern«, sagte Anna. »Sie hat mir eine SMS geschickt, dass sie ihre Freundin in Dänemark besuchen will. Aber dort ist sie nicht, und die Freundin sagt, dass sie auch gar nicht verabredet waren.«
»Hoppla«, meinte Sissela und zog die Brauen hoch.
Vielleicht hatte Ditte ja recht und Kathrine hatte einen Mann kennengelernt.
Trotzdem rief Anna im Helsingborger Krankenhaus an. Eine Kathrine Hansson war dort nicht aufgenommen worden. Vom Rigshospitalet in Kopenhagen erhielt sie denselben beruhigenden Bescheid. Man war so nett, auch noch in einem Zentralregister nachzusehen. Keine schwedischen Frauen dieses Namens waren in einem dänischen Krankenhaus aufgenommen worden.
Anna erhob sich und zog ihren Mantel an.
»Ich fahre besser mal zu ihr nach Hause, um sicherzugehen, dass nichts passiert ist.«
»Du kannst mein Auto nehmen«, sagte Trude und warf Anna den Schlüssel zu.
Anna fing ihn auf.
»Danke.«
Anna klingelte und lauschte auf Geräusche. Sie hatte den Schlüssel in der Hand, wollte aber nicht unangekündigt in die Wohnung gehen. Als keine Schritte zu hören waren, schloss sie auf.
»Mama?«
Sie machte die Tür hinter sich zu. Die Tageszeitung lag hinter dem Briefkastenschlitz in der Diele.
Anna ging durch die Wohnung. Küche, Bad, vorsichtiges Klopfen an der geschlossenen Schlafzimmertür.
Falls ihre Mutter dort mit einem Mann lag, wollte sie sie nicht total überraschen. Anna legte sich in Gedanken schon mal eine Entschuldigung zurecht.
Ich habe mir einfach Sorgen gemacht. Natürlich gönne ich dir nette Gesellschaft. Ich hatte nur Angst, dass dir was passiert ist, als du nicht ans Telefon gegangen bist …
Vielleicht war er ja verheiratet und Kathrine hatte ihre Tochter nicht mit ihrem Geheimnis belasten wollen.
Anna öffnete die Tür zum Schlafzimmer und schaute vorsichtig hinein. Das Bett war leer und gemacht. Falls ihre Mutter einen Mann kennengelernt hatte, war sie bei ihm zu Hause. Anna griff zu ihrem Handy und unternahm einen weiteren Versuch. Die Voicemail sprang erneut nach dem vierten Klingeln an. Sie hatte nicht den Nerv, weitere Nachrichten zu hinterlassen.
Im Schrank über der Spüle fand sie einen Stift und nahm die Speisekarte eines
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