Bedrohung
wusste, ob sie es nach dieser Nacht noch lange bleiben würde.
Aber im Augenblick war sie zu müde, darauf ihre Gedanken zu verschwenden. Mit zitternden Händen griff sie in ihre Jacke und fummelte ihre Zigaretten heraus. Sie steckte sich eine an und genoss es, den Rauch in ihre Lungen strömen zu spüren.
Eine Sache musste sie noch erledigen.
80
21:50
Nachdem er dem jungen Kerl das Genick gebrochen hatte, gestattete Voorhess sich einen wohlverdienten Seufzer.
Angesichts des Aufgebots an Polizisten, das unterwegs war, um ihn zu jagen, hatte er verdammtes Glück gehabt, so weit zu kommen. Allerdings war Voorhess fest davon überzeugt, dass schließlich und endlich jeder seines Glückes Schmied war. Und so gesehen verstand er es äußerst geschickt, mit Hammer und Amboss zu hantieren. Während andere in Panik verfallen wären, war er ruhig geblieben, hatte seinen Plan den schnell wechselnden Gegebenheiten angepasst. Obwohl man ihn verraten hatte, hatte er es geschafft, seinen Verfolgern zu entwischen und ihre Straßensperren zu umgehen.
Der tote Junge saß auf dem Fahrersitz, den Nacken unnatürlich gebeugt und verdreht. Voorhess zog ihm die Baseballmütze tief ins Gesicht, damit er nicht in die toten Augen blicken musste. Der Junge hatte ihm noch erzählt, dass er achtzehn sei, und Voorhess hatte es einen kleinen Stich versetzt, ihn töten zu müssen. Wenigstens war es schnell gegangen. Als der Junge in die Parklücke eingebogen war, hatte Voorhess einen Arm um seinen Hals geschlungen und ihm mit einem einzigen sicheren Ruck das Genick gebrochen. Leiden hatte er nicht müssen. Trotzdem war achtzehn kein Alter zum Sterben. Man ist gerade volljährig geworden, und vor einem tut sich eine Welt voller Abenteuer auf. Andererseits sah es auch nicht so aus, dass dieser spezielle Junge – mit seiner pickligen Haut, seinem armseligen Äußeren und seinem grauenhaften Musikgeschmack – tatsächlich fähig war, das Leben so zu genießen, wie es sich gehörte. Und darum war, meinte Voorhess, sein Tod weniger tragisch.
Er stieg aus, schloss leise die Tür und reckte sich. Es war eine ebenso unkomfortable wie nervenaufreibende Fahrt gewesen, und jetzt schmerzte sein Rücken. Er senkte den Kopf, lockerte die Schultern und sah sich schließlich um. Er befand sich im vierten Stock des Kurzzeitparkhauses am Terminal 4 von Heathrow. Der Wagen stand in einer dunklen Ecke, und das Parkhaus war – nicht ungewöhnlich für diese Uhrzeit – menschenleer. Erstaunlicherweise konnte er immer wieder den Lärm der startenden und landenden Flugzeuge hören, was bedeutete, dass trotz des Raketenangriffs noch Flugbetrieb herrschte.
Ein paar Meter entfernt kam der Fahrstuhl mit einem schrillen Klingelton zum Halten. Voorhess verbarg sich im Schatten einer Säule. Ein junges Paar, das einen Trolley hinter sich herzog, kam heraus. Er wartete, bis sie ihren Wagen gefunden hatten und weggefahren waren, ehe er den Jungen vom Fahrersitz in den Kofferraum verfrachtete. Er hatte zwar etwas Mühe, den Deckel zu schließen, aber schließlich war er zu und der Junge damit neugierigen Blicken entzogen.
Dann nahm er die Tasche mit seinen Habseligkeiten, schwang sie über die Schulter und ging mit dem Gefühl, einmal mehr einen Job sauber erledigt zu haben, zum Fahrstuhl. Als er einstieg, träumte er bereits von Sonnenschein und Geld.
81
23:00
Als Tina sein Krankenzimmer betrat, lag Mike Bolt mit verbundenem Kopf und geschlossenen Augen im Bett. Sie hatte die CTC -Beamten förmlich anflehen müssen, sie zum Krankenhaus zu fahren, ehe sie auf dem Revier von Paddington Green ihre Aussage machen würde. Bislang war sie nicht festgenommen worden, obwohl sie zwei Männer mit einer Polizeipistole getötet hatte, für deren Benutzung sie keine Erlaubnis hatte. Aber wie sie den Polizeiapparat kannte, hatte ganz einfach noch niemand einen genauen Verhaftungsgrund nennen können, da es für die Ereignisse des Abends keinen Präzedenzfall gab. Sobald sie das juristisch in den Griff bekämen, würde man ihr sicher irgendetwas zur Last legen.
Der behandelnde Arzt hatte ihr versichert, dass Bolts Computertomografie keine schwerwiegenden Schädelverletzungen offenbart hatte. Er litt unter einer leichten Gehirnerschütterung, und was er brauchte, war Ruhe.
Tina trat an Bolts Bett, und wie sie ihn so daliegen sah, überkam sie ein Drang, einfach loszuheulen, den sie nur mühsam beherrschen konnte. Sie hatte dem Arzt versprochen, ihn nicht zu wecken, doch als sie
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