Bedrohung
Schulter und sah noch, wie der Mann sich wieder aufrichtete und auf sie anlegte. Aus den beiden Einschusslöchern in seiner Brust kräuselte dort, wo die Kugeln in der Kevlarweste steckengeblieben waren, Rauch auf. Sein Gesicht verriet keinerlei Angst, sondern Verachtung, als wäre Tina nur eine Fliege, die es zu verscheuchen galt.
Mehr aus Verzweiflung feuerte Tina blindlings einen dritten Schuss ab, ohne richtig zu zielen.
Doch diesmal hatte sie Glück.
Ihre Kugel traf ihn im Hals und brachte ihn weit genug aus dem Gleichgewicht, dass sein Schuss über ihren Kopf hinwegstrich.
Auf seinem Gesicht machte sich ungläubige Überraschung breit, als habe er nicht damit gerechnet, selbst getroffen zu werden. Er sank auf die Knie, hielt aber immer noch seine Waffe. Tina ging kein Risiko ein und schoss ein viertes Mal.
Diesmal traf ihn die Kugel mitten in die Stirn. Er erzitterte kurz, und der überraschte Blick schien unter dem Blut, das ihm ins Gesicht lief, wegzuschmelzen. Dann fiel er ohne einen Laut zur Seite und blieb reglos auf dem Asphalt liegen.
Tina sprang sofort wieder hoch und sah, dass ihr Kollege sich am Boden wälzte und die Schulter hielt. Die MP5 war ihm aus der Hand geglitten. Zehn Meter weiter vorne lief Fox bereits auf den Wald zu. Er hatte seine Pistole in der Hand, aber an der steifen Haltung seines Oberkörpers konnte Tina erkennen, dass auch er getroffen worden war.
Vor Anspannung zitternd hob sie ihre Pistole und zielte auf Fox’ sich entfernende Silhouette. Ihr war klar, dass es gegen alle Vorschriften verstieß, auf einen flüchtenden Verdächtigen zu schießen, und dass er seine Geheimnisse mit ins Grab nehmen würde, wenn sie ihn tötete. Doch inzwischen hatte er bereits das Unterholz erreicht, und sie würde ihn von ihrer Position aus nicht mehr treffen.
Dann hörte sie es: das Knattern eines schnell näher kommenden Helikopters. Jetzt konnte Fox nicht mehr entwischen. Er saß in der Falle.
Aber sie war so erregt, dass sie keinen Gedanken darauf verschwendete, auf die Verstärkung zu warten. Sie rief dem verletzten Cop zu, dass Hilfe unterwegs sei, und machte sich dann an die Verfolgung von Fox.
Fox lief, so schnell er konnte, und ignorierte den Schmerz der Schusswunde in seinem Arm und die Schwindelgefühle. Er war nicht der Typ, der aufgab, auch wenn er einsah, dass sein Plan gescheitert war. Er hatte verdammt hoch gepokert, doch da er so nah dran gewesen war, endgültig zu triumphieren, schmerzte es umso mehr, an der letzten Hürde zu stürzen.
Die Sirenen drangen nun von allen Seiten auf ihn ein. Aber die machten ihm keine Sorgen. Was ihn beschäftigte, war das Knattern der Rotorblätter des Hubschraubers, der gleich über ihm sein musste. Dann würden die Sensoren an Bord seine Körperwärme erfassen und ihn verfolgen, bis ihm kein Ausweg mehr blieb.
Auf keinen Fall würde er zurück in den Knast gehen. Wie sollte er? Diesmal würden sie den Schlüssel wegwerfen und nicht einmal erwägen, ihn je wieder zu verlegen. Das musste er sich nicht antun.
Und das würde er auch nicht.
Doch noch war er nicht am Ende. Er war schon immer extrem einfallsreich gewesen, und jetzt sah er eine letzte Chance, das Blatt zu wenden. Sie war äußerst gering, aber hatte er eine Wahl?
Er bremste ab und lauschte den Schritten, die hinter ihm näher kamen.
Zeit, ein letztes Mal die Würfel rollen zu lassen.
78
21:36
Mit gezückter Glock sprintete Tina durch den Wald und jagte Fox. Ein paar Mal hatte sie ihn schon im Blick gehabt, hatte gesehen, dass der eine Arm nutzlos herabbaumelte. Nun aber, da sie eine kleine Hügelkuppe erreichte und den vor ihr liegenden Abhang hinunterschaute, an dessen Fuß das offene Feld begann, konnte sie keine Spur mehr von ihm entdecken. Die Bäume waren kahl und standen weit auseinander, und es gab nichts, wo Fox sich hätte verstecken können.
Sie blieb stehen und mühte sich, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen, nahm aber keine Sekunde den Finger vom Abzug der Glock.
»Waffe fallen lassen!«, rief jemand hinter ihr und übertönte den Lärm des Hubschraubers.
Sie drehte sich um und sah Fox, der ein paar Meter entfernt hinter einem Baum hervortrat. Sie konnte erkennen, dass sein Gesicht schmerzverzerrt war.
»Das ist das Ende der Straße«, entgegnete sie. »Hier kommen Sie nicht mehr raus.«
»Oh doch, mit Ihrer Hilfe. Trotzdem sag ich’s nur noch einmal: Waffe fallen lassen.«
Aber sie gehorchte nicht. Stattdessen wandte sie sich ihm ganz zu und hob
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