Bedrohung
glaube, das habe ich bereits erwähnt. Ich kann nicht einfach abhauen und losfahren, wenn eine junge Dame bedroht wird.
Andererseits gibt es ein zweites gewaltiges Problem. Ich bin in der Unterzahl, und Stiletto hat eine Pistole. Allerdings weiß ich, dass Werwolf es mit dem Gesetz nicht immer ganz genau nimmt. Deshalb schaue ich im Handschuhfach nach, ob er dort etwas Nützliches aufbewahrt. Eine Dose Pfefferspray. Nicht viel, aber immerhin.
Ich stecke die Dose ein, steige aus und jogge im Regen an meinem Augenstern vorbei Richtung Nummer 21. Am liebsten würde ich ihm einen Kuss aufs Blech drücken, aber ich kann mich gerade noch beherrschen. Am Haus angekommen, probiere ich die Klinke, aber es ist abgeschlossen. An der Wand befindet sich ein Klingelbrett, in dem Haus wohnen drei Parteien. Ich trete einen Schritt zurück und sehe, dass lediglich im obersten Stock Licht brennt. Das müsste Vanyas Apartment sein. Ich nehme noch einen weiteren Schritt Anlauf und verpasse der Tür einen Karatetritt. Wie erwartet ist sie ziemlich alt und fliegt sofort mit einem fiesen Krachen auf.
Das Überraschungsmoment zu nutzen war noch nie eine meine Stärken; überhaupt frage ich mich, warum ich Vanya beispringe. Sie ist nie besonders freundlich zu mir. Um ehrlich zu sein, ich habe sie immer als abgehoben und kalt empfunden. Vielleicht, so schießt es mir durch den Kopf, stehe ich einfach auf Schläge.
Ich schließe die Tür hinter mir und versuche, mich in der Dunkelheit zu orientieren. Von oben kann ich keine Geräusche hören, deshalb schleiche ich zur Treppe und taste mich hoch. Auf den ausgetretenen Linoleumstufen klackern leise meine Schuhe. Klack-klack, klack-klack. Im Treppenhaus riecht es abgestanden, und plötzlich tut Vanya mir leid. Sie ist Tausende Kilometer gereist, um in einem Puff alte Säcke zu befriedigen, und muss dann in so einer Bruchbude wohnen.
Plötzlich höre ich einen Schrei. Kurz und schwach nur, aber unverkennbar aus dem Obergeschoss. Vor meinen Kämpfen wurde ich immer so nervös und fickerig, dass ich wie ein Gummiball von den Seilen federte und die Sekunden bis zum ersten Gong herunterzählte. Jetzt empfinde ich genau dasselbe. Ich habe ein Gespür für heraufziehende Gewalt, und so komisch das klingt, ich freue mich richtig darauf. Zum ersten Mal seit Monaten, ach was, Jahren, fühle ich mich wieder lebendig.
Und mit einem Mal weiß ich, warum ich hierhergekommen bin und Jim The Crim Sneddon die Stirn biete. Weil mich der Nervenkitzel antörnt. Er ist wie eine Droge.
Mit dem Pfefferspray in der Hand nehme ich die letzten Stufen. Vor mir taucht eine Tür auf, Sperrholz und abblätternde Farbe, ein kurzer Jackie Chan, und sie fliegt auf. Aber diesmal bietet sich mir ein Anblick, der ebenso absurd ist wie schockierend.
Zunächst der schockierende Teil: Vanya, die mittlerweile normale Straßenkleidung trägt, sitzt stocksteif auf ihrem abgewetzten Sofa, die blauen Augen geweitet wie Untertassen. Über ihr thront Stiletto, einen Fuß auf das Sofa gestellt, und drückt ihr die Spitze seines allseits gefürchteten Instruments in die Haut direkt unter dem linken Auge. In der Linken hält er eine dicke blonde Haarsträhne, die er offensichtlich gerade abgesäbelt hat. Er sieht aus, als wolle er ihr jeden Moment weiteren Schaden zufügen. Jedenfalls zeichnet sich auf seinem Gesicht eine furchterregende kalte Lust ab.
Und nun zum absurden Teil, den es – ob ihr’s glaubt oder nicht – tatsächlich gibt: Mitten im Zimmer hockt, infantil schreiend, der ehrenwerte Herr Abgeordnete Stephen Humphrey. Nur dass seine schillernde Silberlocke nicht länger seinen Kopf schmückt, sondern zusammengeknüllt wie ein schlafender West-Highland-Terrier in Vanyas Hand liegt. Offenbar hat sie ihm das Toupet mit Gewalt abgerissen. Die Gerüchte sind also wahr. Humphrey ist kahl wie eine polierte Billardkugel, und es werden wohl seine Schreie gewesen sein, die ich gehört habe, denn seine Platte ist rot und wund, und an einigen Stellen hängen Fetzen abgerissenen Klebebands herunter.
Dann befindet sich noch The Crim im Zimmer, der sich an Humphreys Leiden sichtlich ergötzt, zumindest bis ich wie der fleischgewordene Racheengel hereingestürmt komme und er mich verdutzt anschaut. Humphrey ist mir zwar am nächsten, aber mit dem halte ich mich nicht auf. Als er noch der für Afghanistan zuständige Staatssekretär war, hatte er zwar den Ruf eines harten Hundes, doch es ist eine Sache, fremde Männer in den Tod zu
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