Bedrohung
das, was ihr heute Morgen dem Crackdealer abgenommen habt. Und kommen damit durch. Genau wie die Abgeordneten, die ihre Spesen manipulieren und sich die Taschen füllen. Oder Abschaum wie Alfonse Webber, der Recht und Ordnung auslacht und immer mächtiger wird, weil niemand sich ihm in den Weg stellt.«
Er sah mich an, als wolle er mich um Verständnis bitten.
»Ich will bloß eine faire Gesellschaft herbeiführen. Eine, in der harte Arbeit und wahre Werte Früchte tragen. Wo die Bösen bestraft und die Guten belohnt werden. Dafür muss man kämpfen. Manchmal ist es ein einsamer Kampf, doch es lohnt sich, ihn zu kämpfen. Vergiss das nie.«
Das Beängstigende war, dass er recht hatte. Wenn man die Welt verändern wollte, musste man dann, wenn es drauf ankam, aufstehen und sich Gehör verschaffen. Aber das hieß nicht, dass man dafür Zivilisten umbringen musste. Cain war ein verdrehter Typ, ein typischer Terrorist, der vollkommen von der Rechtmäßigkeit seiner Sache überzeugt war, obwohl er dafür Hunderte von unschuldigen Menschen tötete.
In diesem Moment kotzte er mich an. Ich ließ es ihn nicht merken. Sondern nickte nur und meinte, er habe recht.
In einer seiner Taschen klingelte enervierend ein Handy. Er holte es nicht einmal heraus, um nachzusehen. Stattdessen machte er den Motor an und legte den Gang ein.
»Bist du bereit?«
Ich spürte das kühle Metall der Pistole an meinem Rücken.
»Jederzeit.«
34
17:35
Gina Burnham-Jones fand ihre Lage traurig.
Lange Jahre hatte sie ihren Mann aufrichtig geliebt. Dass er Soldat war, war nicht ideal gewesen, denn Gina hatte sich nie als Soldatenbraut gesehen. Sie war in einer kleinen Stadt in Bedfordshire inmitten einer fürsorglichen Familie aufgewachsen und hatte sich dasselbe für sich und ihre Kinder gewünscht. Aber man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Es passiert einfach. Und Jones war einfach passiert. Sie hatte ihn in einer Weinbar im Westend kennengelernt; er war »auf Urlaub« und feierte mit seinen Freunden. Er war groß und stattlich, sah aus wie ein Model und hatte Augen, die alles versprachen. Selbst ihre Mom, die sich nie für einen von Ginas Freunden hatte begeistern können, meinte, Jones verbreite eine wirklich positive Aura.
Am Ende hätte es keine Rolle gespielt, was ihre Mutter meinte. Gina war hin und weg gewesen, und nach sechs Monaten hatten sie geheiratet. Das geschah 2002, im Sommer der alliierten Invasion im Irak. Gina war sich darüber im Klaren gewesen, dass ihr Mann von Zeit zu Zeit in Übersee Dienst würde leisten müssen. Sie hatte sich allerdings nie ausgemalt, dass er in zwei Kriegen kämpfen würde, die den großen, gut aussehenden Mann mit dem strahlenden Lächeln unwiderruflich verändern sollten.
Der Wandel hatte bereits nach seinem Irak-Einsatz eingesetzt, wo er einen Freund bei einem Bombenattentat verloren hatte. Und nach seinem ersten Afghanistan-Einsatz waren die Veränderungen noch tiefer gegangen. Er hatte aufgehört zu lachen. Manchmal, wenn Gina ins Zimmer kam, fand sie ihn teilnahmslos dasitzend und ins Leere starrend, als stünde er unter Drogen. Sie versuchte ihn davon zu überzeugen, den Dienst zu quittieren, aber er sagte, das sei nun mal sein Leben und er könne sich nicht vorstellen, einen anderen Beruf auszuüben. Widerstrebend hatte Gina seine Entscheidung akzeptiert – und gleichzeitig beschlossen, dass sie ein Kind wollte, um die Leere zu füllen, die sich in ihr ausbreitete.
Maddie wurde kurz vor Jones’ zweitem Afghanistan-Einsatz geboren. Für Gina war das eine harte Zeit gewesen. Sie hatte unter postnatalen Depressionen gelitten, und ihre Mutter, die ihr hätte helfen können, die Situation zu bewältigen, war an Brustkrebs erkrankt. Und da die Fernsehnachrichten jeden Abend über Dutzende junger Soldaten berichteten, die auf den staubigen Schlachtfeldern der Provinz Helmand gefallen waren, fürchtete Gina permanent, dass auch ihr Mann nicht mehr nach Hause kommen könnte.
Als er dann kam, stellte sie ihm ein Ultimatum: die Armee oder ich .
Er quittierte den Dienst, doch ihre Beziehung war nicht mehr die alte. Ihre Ehe zerbrach langsam und barst endgültig, als er ins Gefängnis musste.
Selbst nachdem sie Jones eröffnet hatte, dass sie sich trennen würde, hatte Gina sich lange Zeit mit keinem anderen Mann getroffen, weil sie sonst Schuldgefühle gehabt hätte. Immerhin war es nicht seine Schuld, dass er sich zu einem so düsteren, gewalttätigen Menschen entwickelt
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