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Bedrohung

Bedrohung

Titel: Bedrohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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entschlossen. »Und wenn, dann bringe ich ihn um.«

56
    20:00
    Garth Crossman saß auf der Couch, hielt seine siebzehnjährige Tochter im Arm und strich ihr sanft über das blonde Haar. Lucy war auf so viele Arten schön, und wie nicht anders zu erwarten, hatte der Tod ihrer Mutter am Morgen sie schwer erschüttert.
    Im Fernsehen liefen die Nachrichten, die Bilder zeigten die Flammen, die aus dem oberen Teil von The Shard herausschlugen, und der Reporter berichtete in fast panischem Ton über den dritten Terroranschlag des Tages.
    Bisher kannte noch niemand die genaue Zahl der Opfer. Viele der Gäste, die die Eröffnungsfeier besucht hatten und nun aus dem Gebäude geleitet wurden, waren verletzt. Obwohl die Kamera nicht direkt draufhielt, waren hinter den Scheiben der Aussichtsplattform die Umrisse zahlreicher Leichen erkennbar. Deshalb schaltete die Regie nur zu gerne auf die ersten Feuerwehreinheiten um, die verzweifelt versuchten, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Doch keinem, der zusah, blieb das Ausmaß der Katastrophe und die Leichtigkeit verborgen, mit der die Terroristen im Herzen von London hatten zuschlagen können.
    Es war wie beim Anschlag auf das Stanhope, und Crossman verspürte ein so reines und überwältigendes Hochgefühl, dass er es am liebsten laut hinausgeschrien hätte. Zum einen war er auf diese Weise seine Frau losgeworden, die mehr über seine Geheimnisse herausgefunden hatte, als ihr guttat. Und zum anderen hatten seine Leute die Attacken, die er minutiös geplant und finanziert hatte und von denen er hoffte, sie würden Großbritannien an den Rand des sozialen Zusammenbruchs bringen, mit solch militärischer Präzision ausgeführt, dass es eine Freude war. Die Rakete hatte The Shard zwar vor Ablauf des Ultimatums getroffen, aber das spielte keine Rolle. Crossman hatte nie daran gezweifelt, dass die Regierung sich weigern würde, auf die gestellten Forderungen einzugehen. Im Gegenteil, er hatte fest damit gerechnet, dass der Premierminister nicht bereit sein würde, auch nur zu verhandeln. Doch jetzt, nach dem dritten Anschlag, wirkte er schwach und angeschlagen, eine verbrauchte Kraft.
    Garth Crossman liebte sein Land. Er war stolz auf die Tatsache, dass hier die Wiege der industriellen Revolution lag, dass Großbritannien mit seinen Armeen, seiner Kultur und seinen Werten die halbe Welt kolonisiert hatte und wie ein Fels in der Brandung den Stürmen des Wechsels getrotzt hatte, die andere Nationen in die Knie gezwungen hatten. Dies war das Land seiner Ahnen. Doch wie die anderen Mitglieder der Bruderschaft hasste er, was daraus geworden war, und dieser Zorn, kombiniert mit der kalten Skrupellosigkeit, durch die er im Geschäftsleben so erfolgreich geworden war, hatte ihn auf den Weg geführt, den er jetzt bis zum Ende gehen wollte. Ein Weg, gepflastert mit Tod und Zerstörung.
    Und es gab noch einen anderen Grund. Crossman würde nie den Tag vergessen, an dem er als Zwölfjähriger nach der Schule von ein paar Jungs aus der Nachbarschaft verdroschen und ausgeraubt worden war. Vier waren es gewesen, zwei Weiße und zwei Schwarze. Sie hatten ihn nicht einfach ausgeraubt. Sie hatten ihn verhöhnt und gequält, seinen Blazer und seine Mütze mit einem Teppichmesser zerschnitten, ihm die Klinge unters Auge gedrückt und gelacht, als er um Gnade flehte. Sie hatten gedroht, ihn fürs Leben zu kennzeichnen, ihn gezwungen, seine Hose auszuziehen, und sie in den Fluss geworfen. Und ihn die ganze Zeit über ausgelacht.
    Die Schweine.
    Crossman musste jeden Tag seines Lebens mit dieser Demütigung fertigwerden. Sie schwelte unter der Oberfläche, erfüllte ihn mit Hass und Wut und dem unauslöschlichen Verlangen nach Rache. Nicht nur an den vier Rowdys, die ihm das angetan hatten, sondern an jedem Stück des armseligen Abschaums, der sich auf den Straßen herumtrieb – vor allem an jenem Abschaum in den Machtzentralen, der die Hand über sie hielt.
    »Dad, wer kann so etwas nur tun?«, flüsterte Lucy und presste, als der Ton des Reporters schriller wurde und im Zimmer widerhallte, ihr Gesicht schutzsuchend gegen seine Brust.
    »Gewissenlose Kreaturen, mein Liebes«, erwiderte Crossman besänftigend. »Ich fürchte, davon gibt es viel zu viele auf der Welt. Aber ich bin da und beschütze dich. Ich werde immer für dich da sein.«
    Er tastete nach der Fernbedienung, genoss die Wärme seiner Tochter an seinem Körper und schaltete den Fernseher aus. Die Berichterstattung konnte er nachher noch

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