Bedrohung
einen wie gelähmt, zugleich hatte die Explosion sie aber auch wachgerüttelt. Noch hatten sie die Chance, den Attentäter zu fassen. Aber sie mussten schnell reagieren. Denn der Kondensstreifen, den die Stinger am Himmel hinterlassen hatte und an dem sie sich orientieren konnten, begann sich aufzulösen.
Sie sprang wieder in den Wagen. »Fahr los!«, rief sie. »Wir müssen das Schwein kriegen.«
Einen Moment reagierte Bolt überhaupt nicht, sondern saß nur stumm da, als stünde er unter Schock. So hatte Tina ihn noch nie gesehen.
»Mike, fahr los!«, schrie sie ihn an und packte seinen Arm, bereit, ihn notfalls aus dem Auto zu stoßen und selbst zu fahren. »Um Gottes willen, fahr! Wir können den Schützen noch finden.«
»Okay, okay!«, brüllte Bolt zurück und schüttelte seine Trance ab. »Aber mach wenigstens dieses eine Mal keine Dummheiten. Verstanden?«
»Scheiße, fahr einfach.«
Bolt warf ihr einen vor Wut kochenden Blick zu, legte grob den ersten Gang ein und raste los.
54
19:47
Voorhess wusste, dass er sich beeilen musste.
Nachdem er sich die Sturmhaube wieder übergestreift hatte, ging er nach unten ins Wohnzimmer und kniete sich neben Azim Butt nieder, der buchstäblich vor Furcht zitternd in seinem Sessel saß. Der Grund für seine Todesangst war die schwere, mit Sprengkörpern versehene Weste, die ihm Voorhess während seiner Bewusstlosigkeit übergezogen hatte. Obwohl die Sprengkörper ins Futter genäht und so von außen nicht sichtbar waren, ließen die zwischen den Taschen verlaufenden Kabel auch für den naivsten Zivilisten keinen Zweifel am Zweck der Weste.
»Ich werde Sie jetzt losbinden, Mr. Butt«, sagte Voorhess und nahm ihm den Knebel ab. »Aber ich warne Sie. Die Weste, die Sie tragen, ist voller Sprengkörper, und unter Ihrem Hintern befindet sich ein Druckzünder. Wenn Sie versuchen, aufzustehen oder die Weste auszuziehen, wird sie explodieren und Sie in Stücke reißen.«
Während er sprach, hatte er Butts Knöchel befreit. »Ich möchte deshalb, dass Sie genau so sitzen bleiben, bis Hilfe eintrifft. Und ich verspreche Ihnen, es wird nicht lange dauern.«
»Bitte töten Sie mich nicht. Bitte.«
Voorhess nestelte am linken Handgelenk herum. »Niemand wird Sie töten, das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Sie müssen nur meine Anweisungen befolgen. Wenn Sie die Polizisten hören, rufen Sie ihnen zu, dass Sie mit einer Bombe verdrahtet sind. Dann schicken die ihre Experten, die sich darum kümmern.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Ich will die nur ein Weilchen aufhalten, Mr. Butt.« Voorhess lächelte ihn aufmunternd an und löste die letzte Fessel. »Aber denken Sie daran, erzählen Sie denen nichts, aber auch gar nichts über mich. Ich will nämlich nicht Ihren kleinen Sohn in Cobham töten müssen.«
Butts Augen weiteten sich. Nach allem, was er durchgemacht hatte, war dies der größte Schock.
»Ich weiß alles über ihn. Also, wenn Sie denen eine lausige Beschreibung liefern, lebt er. Eine gute, und er ist tot. Kapiert?«
Butt nickte verzweifelt. »Ja, ja. Ich habe kapiert.«
Voorhess lächelte. »Fein.«
Er stand auf und verließ schnell die Wohnung. Vorhin bereits hatte er einen elektronischen Sensor an Mr. Butts Haustür angebracht. Sobald jemand die Tür öffnete, würde er eine SMS empfangen – das Zeichen, die Bombe zu zünden.
Die Polizei würde zu dem Schluss kommen, dass Azim Butt es gewesen war, der die Rakete abgefeuert und dann einen Hinterhalt gelegt hatte, um möglichst viele Polizisten mit in den Tod zu reißen. Angesichts der Sprengkraft der Bombe würde nicht genug von ihm übrig bleiben, um Fesselspuren nachweisen zu können. Ein Hintergrundcheck würde zwar keine offenkundigen Verbindungen zwischen Mr. Butt und islamistischen Fundamentalisten zutage fördern, aber der augenscheinliche Beweis seiner Tat wäre mehr als ausreichend.
Ein fast perfekter Plan, dachte Voorhess. So wie er es am liebsten hatte.
55
19:49
»Fahr mal langsamer!«, rief Tina, als sie in die von modernen Stadthäusern gesäumte Wohnstraße einbogen, über deren Dächern noch ein dünner Rauchschwaden hing. »Von irgendwo da oben muss er sie abgefeuert haben.«
Die Straße war zu eng, um parken zu können, aber sämtliche Häuser hatten Garagen oder zumindest Carports. Dennoch war nirgendwo ein schwarzer Pajero zu sehen. Auch nicht, als sie langsam direkt unter dem verbliebenen Rauchwölkchen entlangfuhren. Doch da der Wind dieses inzwischen erfasst und weitergeweht
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