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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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einziger Versuch, als politischer Radikaler zu wirken, ein unrühmliches Ende genommen ... Anna kann sich ein ironisches Lächeln nicht verkeifen. Aber Mut hat er gehabt, das muss man ihm lassen.
    Sie sind in der Zwischenzeit weitergegangen, bleiben kurz an der unteren Enzbrücke stehen, von der aus man das Wehr sieht, an dem man die Leichen von Friedrich Weckerlin senior und dem alten Mühlbeck herausgefischt hat. Dort hat einst das Zinser’sche Sägewerk gestanden! Es wurde aufgelöst und schließlich ganz abgebrochen, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Bankrott, hat ihr Richard Caspar erzählt. Genauso wie das Dederer-Sägewerk, an das nur noch ein Teil des Sandsteinunterbaus erinnert, den ein Stuttgarter Bildhauer als Atelier benutzt. Als sie vor dem ehemaligen Haus Dederer ankommen, kann man von der anderen Straßenseite kräftige Hammerschläge hören. Der Künstler ist also anwesend und am Werk. Er macht riesige, skurrile Werke aus Metall und Holz, von denen einige im Hof, dem ehemaligen Polderplatz, herumstehen.
    Fritz erwartet sie schon. Es ist ausgemacht, dass er sie zum Friedhof fahren wird. Anna will endlich die Gräber sehen. Christine, die herausgekommen ist, um sie zu begrüßen, schlägt vor, dass sie anschließend bei ihnen zu Abend essen. »Wir sind so gespannt, was du schon alles gelesen hast!«
    Anna ist einverstanden. »Ich möchte auch die Bilder und die Fotoalben gerne noch einmal sehen. Sie sagen mir jetzt sicher mehr als vor ein paar Tagen.«
    Jetzt kennt sie schon so viele Namen und so viele Geschichten, die sich hinter den steifen Gestalten auf den braun getönten Fotos verbergen.
    Unterwegs muss Fritz auf Annas Wunsch noch einmal anhalten. Sie will Blumen kaufen. Die ältere Frau im Blumenladen mustert sie mit unverhohlener Neugier. Als sie draußen Fritz parken sieht und im Wagen wohl auch Gretl Haag erkennt, fällt sie mit einem Wortschwall über Anna her, die allerdings nur einen Teil davon versteht, denn die Frau spricht in breitestem Schwäbisch. Immerhin kann sie so viel heraushören, dass sich alle in Grunbach freuen, dass »dem Johannes sein Urenkele« endlich gekommen sei. Und die jüngere Marie sei doch ihre Mutter und das sei schlimm, so jung schon sterben zu müssen.
    Ungeduldig unterbricht Anna den Redeschwall. Blumen fürs Grab wolle sie.
    »Und welche?«, fragt die Frau und deutet auf die Eimer mit Rosen, Nelken und Gerbera.
    Anna überlegt kurz. Welche Blumen hat Johannes wohl am liebsten gehabt? Sie hätte Gretl fragen müssen. Aber dann fällt ihr plötzlich eine Stelle im »Taugenichts« ein, die sie erst gestern gelesen hat. Immer wieder blättert sie in dem abgegriffenen Büchlein, weil sie glaubt, dass ihr Johannes so besonders nahe ist und weil sie genauer ergründen möchte, was ihn an der Geschichte so fasziniert hat. Da ist an einer Stelle von »Rosen, himmelblauen Winden und schneeweißen Lilien« die Rede. Winden – keine Ahnung, was das ist, denkt sie. Aber sie traut sich nicht die Verkäuferin zu fragen. Rosen und Lilien, das ist allerdings klar, und so deutet sie auf die Blumeneimer und verlangt drei Dutzend Rosen und drei Lilien. Nein, zu binden brauche sie die Blumen nicht, sagt sie zur Blumendame, die vor Neugierde fast platzt. Nur in Papier einwickeln soll sie die Blumen, und während sie dann noch einmal nachgeschnitten und eingepackt werden, überlegt Anna kurz, wie unterschiedlich die Gärten ihres Urgroßvaters und des Taugenichts gewesen sind. Letzterer hatte als Zolleinnehmer die »Kartoffeln und anderes Gemüse« herausgerissen und stattdessen Blumen gepflanzt, nur Blumen, nutzlose Blumen, die seinen Schönheitssinn befriedigen sollten.
    In Johannes’ Garten dagegen gab es nur Kartoffeln, Zwiebeln, Bohnen. Das kann man zum Teil jetzt noch sehen und auf Annas Frage, ob es denn keine Blumen gegeben habe, hat Gretl nur lakonisch geantwortet: Für so etwas sei kein Platz gewesen, von dem Gemüse habe die Familie zum großen Teil gelebt. Nur Marie hatte einige dicke, gelbe Ringelblumen am Zaun gesät. Außerdem hat sie Anna noch sehr anschaulich geschildert, wie Johannes einige Male im Jahr knietief in der Abortgrube gestanden habe und die stinkende Brühe geschöpft und als Dünger über den Gemüsegarten verteilt hat.
    »Furchtbar hat das gestunken und ob es so gesund war – aber das haben alle so gemacht, denn die Siedlung war damals noch nicht an die öffentliche Kanalisation angeschlossen.«
    Beim Gedanken daran schüttelt es Anna wieder. Was

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