Befehl von oben
getan und nichts riskiert hatte und aus dem ›Krieg‹ unverletzt und unbeteiligt hervorging. Selbst Zhangs vorsichtigste Vorgesetzte konnten gegen sein Spiel nichts einwenden, auch wenn es gescheitert war. Und jetzt würde wieder ein anderer die Risiken übernehmen und Indien pazifistische Unterstützung leisten, und China würde nichts tun müssen, außer zu einer früheren Politik zurückzukehren, die mit dieser neuen UIR nichts zu tun haben schien, aber ein ziemlicher Test für den amerikanischen Präsidenten sein würde. Außerdem war Taiwan weiterhin ein Ärgernis.
Es war so seltsam. Der Iran war vor allem von Religion motiviert. Indien war von Habsucht und Wut motiviert. China andererseits dachte langfristig, strebte beherrscht, aber umsichtig, nach dem, was wirklich zählte. Das Ziel des Iran war ganz offensichtlich, und wenn er dafür einen Krieg riskieren wollte, warum dann nicht aus sicherem Abstand zusehen? Aber er würde sein Land jetzt noch nicht festlegen. Warum ungeduldig erscheinen? Indien war ungeduldig, sogar so sehr, daß es das Offensichtliche übersah: Wenn Daryaei Erfolg hätte, würde Pakistan mit der neuen UIR Frieden schließen, ihr womöglich gar beitreten; dann wäre Indien isoliert und verwundbar. Ja, es war stets gefährlich, ein Vasall zu sein, und das um so mehr, wenn man Ambitionen hegte, in die nächsthöhere Stufe aufzurücken. Bei der Wahl von Alliierten mußte man äußerst sorgfältig vorgehen. Dankbarkeit unter Nationen war wie eine Gewächshauspflanze, die sehr schnell eingehen konnte, wenn sie der wirklichen Welt ausgesetzt wurde.
Die Premierministerin nickte in Anerkennung ihres Sieges über Pakistan und sagte nichts weiter.
»In diesem Fall, meine Freunde, danke ich Ihnen für die Möglichkeit, daß wir uns hier treffen konnten, und mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich jetzt verabschieden.« Die drei erhoben sich, schüttelten sich die Hände und gingen zur Tür. Wenige Minuten danach rumpelte Daryaeis Flugzeug die für Kampfflugzeuge angelegte Startbahn hinab. Der Mullah sah die Kaffeekanne an, entschied sich aber dagegen. Vor dem Morgengebet wollte er ein paar Stunden schlafen. Erst aber …
»Ihre Voraussagen waren völlig richtig.«
»Die Russen nannten diese Dinge ›objektive Verhältnissen‹ Sie sind und bleiben Ungläubige, aber ihren Formeln zur Problemanalyse muß man Achtung zollen«, erklärte Badrayn. »Darum habe ich auch gelernt, so sorgfältig Informationen zusammenzutragen.«
»Das habe ich gesehen. Ihre nächste Aufgabe wird es sein, ein paar Operationen zu skizzieren.« Damit drückte Daryaei seine Sitzlehne nach hinten, schloß die Augen und fragte sich, ob er wieder von Löwen träumen würde.
*
Sosehr sich Pierre Alexandre eine Rückkehr zur klinischen Medizin gewünscht hatte, mochte er sie eigentlich nicht so sehr, wenn er Leute behandeln mußte, die keine Überlebenschance hatten. Der ehemalige Army-Offizier in ihm stellte sich vor, daß Bataan zu verteidigen so etwa gewesen sein mußte. Zu tun, was man konnte, die besten Geschosse abzufeuern, die man hatte, und doch zu wissen, daß niemals Entsatz kommen würde. Im Augenblick waren es drei AIDS-Patienten, alle homosexuell, alle in den Dreißigern, und alle hatten kaum noch ein Jahr zu leben. Alexandre war ein ziemlich religiöser Mensch und hatte für Schwule nicht viel übrig, aber keiner verdiente es, so zu sterben. Außerdem war er Arzt und nicht Gott, der zu Gericht saß. Verdammt, dachte er, während er den Fahrstuhl verließ und seine Patientennotizen ins Mini-Diktiergerät sprach.
Zum Beruf des Arztes gehört es einfach, sein Leben aufzugliedern.
Die drei Patienten auf seiner Station würden morgen auch noch dasein, und keiner von ihnen würde in dieser Nacht dringlicher Hilfe bedürfen.
Ihre Probleme beiseite zu schieben war nicht grausam. Es war simple berufliche Notwendigkeit, und ihr Leben, so es überhaupt noch eine Hoffnung für sie gäbe, würde von seiner Fähigkeit abhängen, sich von ihren leidenden Körpern abzuwenden hin zur Erforschung der Mikroorganismen, die sie befallen hatten. Die Kassette aus dem Diktiergerät gab er seiner Sekretärin, damit sie die Notizen abtippte.
»Dr. Lorenz in Atlanta hat auf Ihren Rückruf auf seinen Rückruf auf Ihren ursprünglichen Anruf zurückgerufen«, teilte sie ihm dabei mit.
Sobald er sich gesetzt hatte, wählte er die Nummer aus dem Gedächtnis.
»Ja?«
»Gus? Alex hier, im Hopkins. Gefangen«, kicherte er, »Sie sind's.«
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