Befehl von oben
Martin war in Erwartung gerade dieser Tatsache erschienen.
»Die Reisefreiheit ist für alle der von der Verfassung festgelegten und geschützten Freiheiten von zentraler Bedeutung. Weder von der Verfassung noch vom Grundgesetz her ist der Präsident befugt, den Bürgern diese Freiheit zu beschneiden, insbesondere nicht durch Anwendung bewaffneter Gewalt, die hier bereits zum Tod eines Bürgers und zur Verwundung weiterer geführt hat. Das ist eine einfache Frage des Rechts«, sagte Kealty eine halbe Stunde später, »und ich bitte das Gericht für mich selbst und für meine Mitbürger, diesen illegalen Befehl außer Kraft zu setzen.« Damit nahm Edward J. Kealty wieder seinen Platz ein.
»Euer Ehren«, sagte der Solicitor General und ging zum Podium mit dem Mikrofon fürs Fernsehen, »wie uns der Kläger darlegt, ist dies eine höchst wichtiger Fall, doch nicht einer, der im Grunde erhebliche rechtliche Vielschichtigkeit verbirgt. Die Regierung zitiert Richter Holmes im berühmten Fall zur Redefreiheit, als er uns sagte, daß die Aufhebung von Freiheiten zulässig ist, wenn das Land insgesamt in tatsächlich vorhandener Gefahr schwebt. Die Verfassung, Euer Ehren, ist kein Selbstmord-Pakt. Die Krise, der das Land heute gegenübersteht, ist tödlich und dergestalt, daß die Väter der Verfassung sie nicht voraussehen konnten. Im späten achtzehnten Jahrhundert, so darf ich den gebildeten Gegenanwalt erinnern, war das Wesen von Infektionskrankheiten noch nicht bekannt. Dennoch war die Quarantäne von Schiffen zu jener Zeit verbreitete und hingenommene Praxis. Wir haben auch Jeffersons Embargo des Außenhandels als Präzedenzfall, doch mehr als das alles haben wir, Euer Ehren, den gesunden Menschenverstand. Wir können nicht unsere Bürger auf dem Altar der Rechtstheorie opfern …«
Es hätte komisch wirken können, war es aber nicht, als die fünfzehn Reporter den Bluttest all gleich aufnahmen. Ein Blinzeln. Ein Erleichterungsseufzer. Nacheinander standen alle auf und gingen zur anderen Seite des Raums, nahmen ihre Masken bei der Gelegenheit wieder ab.
Dann wurden sie in einen anderen Besprechungsraum geführt.
»Okay, ein Bus wird Sie nach Andrews bringen. Weitere Informationen erhalten Sie nach dem Abflug«, teilte ihnen der Colonel mit.
»Moment mal!« protestierte Tom Donner.
»Sir, das stand auf Ihrem Einwilligungsformular, erinnern Sie sich?«
»Sie hatten recht, John«, sagte Alexandre. Epidemiologie, das Studium der Krankheiten und ihrer Verbreitung, war eigentlich die Mutter der modernen Medizin, seit um 1830 ein französischer Arzt feststellte, daß erkrankte Menschen genauso schnell starben oder genasen, ob sie nun behandelt wurden oder nicht. Diese unbequeme Entdeckung hatte die Ärzteschaft gezwungen, nach Dingen zu suchen, die wirkten, und dabei die Medizin vom Handwerk zur wissenschaftlichen Kunst gemacht.
Der Teufel lag, wie immer, im Detail. In diesem Fall, begriff Alex, mochte es nicht einmal der Teufel sein.
Es gab nun 3451 Ebola-Fälle im Lande, inklusive derer, die im Sterben lagen, der offen symptomatischen und der Antikörper-Positiven.
Die Zahl war an sich nicht so groß. Niedriger als die Zahl der AIDS-Toten, zwei Größenordnungen geringer als die für Krebs- und Herzerkrankungen. Die statistische Studie hatte 223 Primärfälle aufgezeigt, alle bei Handelsmessen infiziert, von denen die Sekundär-, Tertiär-, usw. – fälle ausgegangen waren. Auch wenn die Anzahl der neuentdeckten Fälle weiter anstieg, war die Rate niedriger als die von bestehenden Rechnermodellen vorhergesagte … und in Hopkins hatten sie den ersten Fall einer Patientin, die Antikörper aufwies, aber nicht symptomatisch war …
»Es hätte mehr Primärfälle geben müssen, Alex«, sagte Pickett. »Das begann uns gestern abend aufzufallen. Und der erste Verstorbene flog von Phoenix nach Dallas. Die Universität Texas testete alle Passagiere: Nur einer weist Antikörper auf – und der ist eigentlich asymptomatisch.«
»Risikofaktoren?«
»Gingivitis – er hatte Zahnfleischbluten«, berichtete General Pickett.
»Es versucht, ein Aerosol zu sein … aber …«
»Das denke ich auch, Alex. Bei den Sekundärfällen handelt es sich meist um intimen Kontakt. Umarmungen, Küsse, persönliche Pflege des Lebensgefährten. Wenn wir recht haben, erreicht's in drei Tagen den Höhepunkt und sistiert. Auf dem Wege wird's auch Überlebende geben.«
»Davon haben wir eine in Hopkins. Sie hat die Antikörper,
Weitere Kostenlose Bücher