Begegnung im Schatten
Überzeugung, dass der Erfolg dieses unerhörten Experimentes ohne die Mitwirkung der Anja Lauring nicht eingetreten oder zumindest sehr in Frage gestellt worden wäre.
Mit ihren Erfahrungen aus der Rechtsmedizin konnte sie exakte Analysen der Gewebearten des fremden Organismus’ anfertigen, die den Schluss auf die Ernährungsweise dieser Wesen zuließen, natürlich nicht auf die Nahrungsmittel selbst, jedoch auf deren lebensnotwendige Bestandteile. Ihre Untersuchungsergebnisse ließen Vermutungen über die Art der Verdauung und die Funktion innerer Organe zu, auch über das Sekret zur Äsung der Neugeborenen. Und in Vorbereitung auf diese hatte sie aus hochwertigen Bestandteilen prophylaktisch verschiedene Säfte und Breie zusammengerührt, von denen sie annahm, sie könnten den Nachwuchs, so er denn gelänge, am Leben erhalten. Damit anzufangen, wenn er bereits da ist, hatte sie für tödlich gehalten.
Und nun war es soweit, wo sich das alles bewähren sollte. Kein Wunder also, dass die Spannung eher noch zunahm.
Ein Winzling kam da aus dem Ei gekrochen.
Franziska Hauser-Lan, der zu dieser Stunde die Nachtkontrolle oblag, bemerkte ihn als Erste. Ein leises Quieken drang aus der Box.
Behutsam hob sie das Fell und leuchtete mit der Taschenlampe darunter. Und beim ersten Anblick wusste sie, dass dem Vater eine ungeheure Enttäuschung bevorstand. Da linderte auch nicht, dass sich die Methode des Eingreifens bewährt hatte. Auch sie selber befiel eine maßlose Traurigkeit, ob des Fehlschlags, der ihr augenblicklich die Hoffnung auf einen erfolgreichen weiteren Verlauf des Experiments nahm.
Eine Missbildung, kein Zweifel: Ein schwarzes Etwas mit zwei stummligen, fingerlosen Extremitäten bewegte sich unstetig. Und da, wo man den Kopf vermuten konnte, wuchs ein schmaler Hornstreifen heraus.
Franziska beschloss, weder den Vater noch einen der Kollegen zu wecken; der Morgen würde das Dilemma früh genug an den Tag bringen.
Wenn Dr. Hauser enttäuscht war, und er war es mit Sicherheit, dann ließ er sich das – zumindest äußerlich – nicht anmerken. Er betrachtete sich das Geschöpf, dessen Lebensäußerungen im Vergleich zur Nacht wesentlich matter geworden waren, eingehend.
Im Laboratorium herrschte Stille.
Weil zu erwarten war, dass jemand ihre Entdeckung vorzeitig wiederholen könnte, hatte Franziska noch vor dem Frühstück das Team zusammengerufen und über den Tatbestand informiert.
Sie standen betroffen und verfolgten wortlos Hausers Gebaren. „Wiege, miss und fotografiere das“, wandte er sich an seine Tochter, die, offenbar froh, durch Tätigkeit der bedrückenden Situation entgehen zu können, sofort begann, den Auftrag auszuführen.
„Erinnert euch an meine Meinung: Freuen wir uns nicht zu früh“, bemerkte Hauser mit einem säuerlichen Lächeln. „Aber bange machen gilt nicht. Noch haben wir neun Eisen im Feuer!“
Jeder der Anwesenden spürte den Zweckoptimismus.
„Ich habe ja gleich gesagt…“, meldete sich Dr. Lauring zu Wort, „dass mir die außerordentlich kurze Brütezeit bei diesen Platypuses nicht gefällt. Gegenüber den anderen hatte das Eiinnere so eine merkwürdige Konsistenz, so als sei es bereits bebrütet, was eben die verkürzte Entwicklung außerhalb des mütterlichen Körpers erklären könnte. Daher wundere ich mich über das Ergebnis eigentlich nicht wirklich.“
Niemand reagierte zunächst.
„Und…“, erwiderte Ramlundt dann leicht ungehalten, „warum haben Sie dann operiert, wenn Sie es gleich gewusst haben, dass es schief geht?“
Sie sah ihn an und verzog die Winkel ihres schmalen Mundes. Man sah ihr unbedingt an, dass sie so etwas Ähnliches wie „Klugscheißer“ dachte.
Franziska Hauser-Lan hatte den Auftrag ihres Vaters ausgeführt.
Der nahm ein größeres Becherglas aus dem Regal, ließ das missratene Geschöpf vorsichtig hineingleiten, griff aus dem Chemikalienschrank eine Flasche mit den Etikett „Chloroform“, goss eine Kleinigkeit von deren Inhalt dazu und verschloss mit einem Deckel.
„Dieses war der erste Streich“, sagte Markus Markowitsch, was ihm von allen, außer Dr. Hauser, missbilligende Blicke eintrug.
„Also ist Geduld angesagt“, bemerkte Stephan Ramlundt. „Von dem zweiten Schnabeltierei ist wohl nun nichts mehr zu erwarten. Die hätten wir uns also sparen können.“ Er dachte an den Zoomenschen, der ihm gerade dafür das meiste Schmiergeld abgenommen hatte.
„Wenn wir bei den anderen von achtzig Tagen ausgehen,
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