Begegnungen (Das Kleeblatt)
diese Mörder nach Alain Germeaux’ Besuch sicher, dass irgendwann jemand nach Beate Schenke fragen würde. Seit Alains Abreise vor zwei Wochen hatten sie sich auf dieses perverse Trauerspiel vorbereiten können.
„Sie wissen, wo ich zu finden bin. Und jetzt lasse ich Sie mit ihr allein.“
„Ich werde ebenfalls ihren Pass benötigen.“
Seine Miene verriet keine Gemütsregung, unter seinen halbgeschlossenen Augenlidern beobachtete er allerdings jede noch so kleine Reaktion des Paters. Der war ein jämmerlicher Schauspieler, stellte er mit einem Anflug von Mitleid fest. Er bemerkte, wie der Alte nervös seine Finger knetete und seine mausgrauen Augen gehetzt hin und her flogen, als wollte er um jeden Preis vermeiden, seinem Blick zu begegnen.
„ Natürlich. Selbstverständlich“, krächzte er. „Den besorge ich Ihnen genauso wie den Totenschein. Ihr Bruder, sagten Sie?“
„So könnte man es nennen.“
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Sofort rutschte die Frau noch tiefer in die Ecke, in der sie sich auf dem nackten Boden verkrochen hatte. Instinktiv zog sie ihre Beine dicht an den Körper und legte ihre Arme schützend darum. Unter ihrem gesenkten Blick konnte sie nicht mehr als ein Paar halbhohe, tadellos glänzende Lederstiefel erkennen, in denen khakifarbene Hosenbeine steckten.
Sie wollte sein Gesicht nicht sehen.
Wozu auch? Es tat überhaupt nichts zur Sache, wie er aussah. Er war ein Mann wie all die anderen, die hier ein- und ausgingen. Ein Gesicht wie jedes andere, staubig und unrasiert, schweißtriefend, mit gierigen Augen und fauligem Atem. Die Kerle stanken nach billigem Tabak und Fusel, nach ungewaschenen, verschwitzten Körpern und den typisch scharfen Gewürzen.
Seit Alain mit ihrer gemeinsamen Tochter nach Paris zurückgeflogen war und ihre Hütte von einer anderen Frau bewohnt wurde, hauste sie in diesem dunklen Loch. Nicht ein einziges Mal hatte sie seitdem den Keller verlassen dürfen. Sie sehnte sich nach dem Licht und der Wärme der Sonne. Sie sehnte sich nach ihrem Engelchen Cat und nach Alain.
Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie verdrängte den Gedanken daran, so als würde allein durch die Gegenwart eines anderen Mannes die Erinnerung an ihre Liebe beschmutzt.
Der Fremde schob sich lautlos in den Raum und zog die Tür leise hinter sich ins Schloss. Dieses untypische V erhalten ließ Beate aufhorchen, dennoch wagte sie nicht, den Kopf zu heben, um dem Mann ins Gesicht zu schauen.
Der Magen drehte sich ihm um, als sein flüchtiger Blick das Inventar an den Wänden des finsteren Kellerlochs streifte. Unwillkürlich drängte sich vor sein inneres Auge das Bild eines ähnlichen Verlieses, aus dem er vor Jahren seinen Freund Angel Stojanow befreit hatte. Einen Moment stand er wie erstarrt und atmete hastig durch, während er bloß mit Mühe den aufsteigenden Ekel hinunterwürgte.
Endlich siegte Beates Neugier über ihre Angst und sie hob den Kopf, um einen zaghaften Blick auf den Fremden zu werfen. Verwundert betrachtete sie die muskulöse Gestalt in der sauberen, perfekt sitzenden Kleidung. In seiner Khakihose steckte ein schwarzes T-Shirt, darüber trug er ein schwarzweiß kariertes Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte. Er war nicht so groß wie Alain, hatte aber kein Gramm Fett am Leib und seine Bauchmuskeln – ein makelloser Sixpack – waren sogar durch das Shirt hindurch zu erkennen. Sie hatte Erfahrung mit solchen Typen und so ging sie davon aus, dass er in der Lage war, einen Gegner auf ein Dutzend verschiedene Arten zu töten, ohne einen Tropfen Schweiß zu vergießen.
Er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit all den anderen Männern, die sie tagtäglich in diesem Verlies aufsuchten, um sie zu quälen. Sein Gesicht war braungebrannt und glatt rasiert, die Haare modisch kurz geschnitten und gewaschen. Er sah sie sogar anders an als die anderen – sanftmütig und ehrlich, Vertrauen erweckend. Ein verbindliches Lächeln umspielte seinen Mund. In dieser Sekunde allerdings, da er bemerkte, dass sie etwas sagen wollte, legte er seinen Zeigefinger an die Lippen und schüttelte leicht den Kopf.
„Pst, leise , Beate. Bitte hör mir erst zu, bevor du redest.“ Er trat einen Schritt auf sie zu und ging in einiger Entfernung von ihr in die Hocke, sodass er ihr direkt in die Augen blicken konnte. „Beate, ich bin Adrian Ossmann, der Mann von Suse.“
W ie gebannt von seinen warmherzigen Worten und der weichen, melodischen Stimme starrte sie
Weitere Kostenlose Bücher