Begegnungen (Das Kleeblatt)
Angel Stojanow seine Frau und Kinder nicht freiwillig verlassen hatte, obwohl Peters diese Vermutung nach wie vor nicht offiziell bestätigen konnte. Ihn schauderte bei der Vorstellung, dass er sich seit zwei Jahren in der Gewalt von Entführern befand, die weiß Gott was von ihm wollten! Und mit ihm anstellten.
Sie waren gemeinsam durch eine harte Schule gegangen, waren zu Kämpfern gedrillt worden, die bei einer eventuellen Gefangennahme durch den Feind – wer immer das sein mochte – Verhören und Folter widerstehen konnten. Tage-, wenn es sein musste sogar wochenlang. Sie wussten, was Schmerz war, und konnten damit umgehen. Doch ihnen war stets gegenwärtig gewesen, dass dies nur bis zu einem gewissen Grad möglich sein würde. Mit den richtigen Methoden und viel Geduld würde der Schmerz für das Opfer irgendwann derart heftig, derart unaussprechlich werden, dass es sich ein Messer in die Hand wünschen würde, um sein Leid bereitwillig zu beenden. Folter war nicht allein das Erzwingen von Geständnissen, sondern genauso die Zerstörung der Persönlichkeit, die Vernichtung der Identität. Spätestens dann verlor ein Mensch jegliche Fähigkeit zum Widerstand.
„Adrian! Alles in Ordnung mit dir?“
Langsam tauchte er aus den Tiefen seiner düsteren Gedanken und blickte unsicher zu Alain. „Mit mir? Ja, alles in Ordnung. Ich denke schon.“ Er wischte sich mit einer fahrigen Geste über die Stirn und schüttelte den Kopf, um seine Sinne zu klären. „Du bleibst also, solange du möchtest. Susanne würde dir vermutlich genau dasselbe vorschlagen, wäre sie hier.“
„Ich danke euch.“
„Wofür? Bis jetzt haben wir nichts getan, mit dem wir deinen Dank verdient hätten.“
„ Dann sage mir, wo Beates Familie lebt. Vielleicht haben ihre Eltern etwas von ihr gehört.“
„Das ist nicht dein Ernst. “
„Ich würde gern … Ich befürchte, dass dies ein weiterer Fehler ist, dennoch … Ich möchte Beates Familie kennenlernen.“
„ Das ist keine gute Idee“, gab Adrian zu bedenken. „Gar nicht gut. Denn dort ist sie nicht. Sie war seit Jahren nicht mehr zu Hause.“
„Sie hat ihre Eltern nie erwähnt. Worauf ist dieses eisige Schweigen zurückzuführen? Das existierte bereits zwischen ihnen, bevor Pierre mit seiner Lüge in Beates Leben getreten ist.“
„Alain …“
„Ich kann nicht geduldig ausharren, bis etwas passiert.“
„Alain, selbst wenn ich die Adresse finden sollte, Beate wird nicht begeistert sein, wenn sie erfährt, was du vorhast. Sie würde von mir erwarten, dich mit allen Mitteln von dieser wahnwitzigen Idee abzubringen.“
„ Da sie weiß, dass ich genauso starrköpfig sein kann wie sie, wird sie sich hüten, dir einen Vorwurf aus deinem vermeintlichen Verrat zu machen. Also, welches Problem gibt es mit ihrer Familie?“
Adrian zuckte unschlüssig mit den Schultern.
„Irgendetwas wirst du doch wissen.“
Adrians theatralischer Seufzer zauberte ein Lächeln auf das schmale Gesicht des Franzosen.
„Suse hat nicht viel erzählt, das kannst du mir glauben. Nur, dass sich Bea von Anfang an für das schwarze Schaf in ihrer Familie hielt. Sie hat als Kind ihre Eltern regelrecht auf Knien angefleht, sie endlich in einem Schulinternat anzumelden und zwar am Ende der Welt, damit sie einen Vorwand hatte, um höchstens einmal im Monat ein Wochenende zu Hause verbringen zu müssen. Es dauerte nicht lange und sie fuhr lediglich während der Ferien zu ihrer Familie, später nicht einmal mehr dann, weil sie ständig mit Suse, Karo und Cat zusammenhing. Es muss Jahre her sein, dass Bea mit ihren Eltern ein Wort gewechselt hat. Und frage mich bitte nicht, was der Auslöser für diese arktische Kälte in ihrer Familie war.“
„ Ich werde es herausfinden, doch dazu benötige ich ihre Adresse. Susanne besitzt zweifellos ein Adressbuch, das so dick ist wie Beates.“
„Mag sein.“ Adrian runzelte die Stirn und hob ergeben seine Hän de. „Schon gut, Junge, lass mich nachdenken, wo ich … Ordnung halten ist nicht unbedingt Suses Stärke.“
Nein, es hatte keinen Sinn , Alain diese Idee ausreden zu wollen. Er war ebenso unnachgiebig, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, wie seine kleine Susanne.
Seine Miene verfinsterte sich wie immer, wenn er daran dachte, was alles er in seiner Beziehung zu Suse falsch gemacht hatte. Seit einem halben Jahr hatte er seine Frau nicht mehr gesehen. Im Frühling war sie zu ihren Eltern gefahren, während er die von seinen unsichtbaren,
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