Beginenfeuer
Mathieu in die Arme zu schließen und die offenen Fragen mit ihm zu beraten.
Wenn er ganz ehrlich mit sich war, musste er allerdings zugeben, dass er vor allem wissen wollte, ob Mathieu etwas von Violante gehört hatte.
V IOLANTE VON C OURTENAY
Lyon, 11. Oktober 1311
Die steife Standarte mit den gestickten königlichen Lilien erregte Violantes Aufmerksamkeit. Das Banner des Königs von Frankreich, getragen von einem der Männer, die ihre Pferde vorsichtig auf das Schiff führten.
Sie erstarrte. Gefolgt von der vertrauten Gestalt seines Waffenmeisters: Mathieu! Auch er war mit den Männern auf dem Weg nach Vienne.
»Beeilt Euch«, drängte Pater Étienne Violante im selben Augenblick. »Wir können hier nicht länger warten, der Tross möchte auf das Schiff.«
Violante bewegte sich wie in Trance. Sie hörte die Worte, aber sie drangen nicht in ihr Bewusstsein. Wie von selbst setzte sie sich in Bewegung. Bis sie ihre Umwelt wieder wahrnahm, hatte das Schiff bereits die Mitte des mächtigen Flusses erreicht. Der Pater hatte in der Nähe des Hecks eine kleine Ecke für seine Mitreisenden gefunden, wo sie halbwegs geschützt standen. Eine leichte Brise strich über Violantes Wangen. Rechts und links blieben die Häuser von Lyon zurück und machten grünen Ufern, Feldern und Weinbergen Platz. Sie schöpfte tief Luft und wagte endlich sich umzusehen. Aufschauend blickte sie in Mathieus Augen.
Inmitten der anderen Reisenden stand er nur wenige Schritte von ihr entfernt. Offensichtlich hatte er sie an Land erkannt und sich in ihre Nähe gedrängt. Nur ein schneller Blickwechsel verband sie. Es war undenkbar, mit ihm zu sprechen oder gar zu ihm zu gehen. Sitte und Anstand verboten es ihr ebenso, wie sie es Mathieu untersagten, einer Dame in aller Öffentlichkeit seine Aufmerksamkeit zu zeigen.
Ihr war klar, welche Fragen ihn bewegten, wie sehr er sich darüber wunderte, sie als Begine verlassen zu haben und eine reisende Nobeldame mit standesgemäßem Gefolge wiederzusehen. Auf der Rhône, fern von Strasbourg und dem Haus zum Turm.
»Was starrst du den Mann so an?«
Pater Étienne war nicht größer als sie. Die Augen auf gleicher Höhe mit ihren, hatte er ihr Interesse für den Ritter längst bemerkt.
»Wen, meint Ihr, starre ich an, Pater?«
»Dort, den Ritter des Königs. Denkst du, ich gewahre nicht, dass du versuchst, seine Aufmerksamkeit zu erregen? Vergiss nicht, du bist Begine.«
Er hatte Recht. Wie gerne hätte sie Mathieu und seinen Waffenmeister dennoch begrüßt.
»Ihr habt keinen Anlass, so mit mir zu sprechen, ehrwürdiger Vater«, erwiderte sie beherrscht. Sie hielt ihm stand, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug.
»Ich rede mit dir, wie es einem Weib gebührt«, zischte er zwar leise, aber tadelnd. »Du schuldest mir Gehorsam. Schlage die Augen nieder und schweige!«
Violante gehorchte abweisend. Sie war wütend auf den Pater. Sie hatte ihn während der Reise besser kennen gelernt, als ihr lieb war. Gefühllos, ohne menschliche Regungen, ohne Mitgefühl. Bruder Étienne würde einen Freund im Strom ertrinken lassen, wenn es ihm einen Vorteil verschaffte. Warum er sich für die Beginen einsetzte, musste sie sich nicht mehr fragen.
Ohne Zweifel tat er es aus Eigennutz. Und wenn es seinem Eigennutz nicht mehr dienlich war, würde er sicher auch die Sache der Beginen verraten. Auch darin bestand inzwischen kein Zweifel mehr für sie.
Die Argumente, die Pater Étienne ihr gegeben hatte, würden den Papst bestimmt nicht überzeugen, und dann gäbe es für sie nur den Weg in ein Kloster. Das war nicht ihr Weg, dessen war sie sich sicher.
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Mathieu den unerfreulichen Wortwechsel beobachtet hatte. Wie konnte sie ihm eine Nachricht zukommen lassen? Sie musste mit ihm sprechen. Neben sich bemerkte sie Schwester Eudora. Sie mochte die junge Frau mit dem runden Gesicht, das über und über mit braunen Punkten übersät war. Üppig von Gestalt, mit den sanftesten dunkelbraunen Augen, war sie die Hilfsbereitschaft in Person.
Eudora hatte Strasbourg noch nie verlassen. Diese Reise war für sie ein einziges großes Abenteuer, das sie aus ganzem Herzen begrüßte. Keine Mühsal entlockte ihr eine Klage. »Sagt mir, was Ihr dem Ritter mitzuteilen wünscht, Schwester«, flüsterte sie. »Ich werde es ihm berichten. Die größere Aufmerksamkeit des Paters gilt Euch, vielleicht finde ich eine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zu geben.«
»Woher kennt Ihr den
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