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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Badge passierte er problemlos die erste Kontrolle und bog dann nach rechts in Gang B ein. »Arbeitest du heute?«, fragte ihn ein Kollege überrascht. »Ich hole nur schnell die Dienstpläne ab«, erwiderte Nino. Es mochte merkwürdig erscheinen, dass er sich an seinem freien Tag darum kümmerte, aber das war ihm gleichgültig. Hier in dem sogenannten »Schlüsselblumen«-Flur durften die Patienten unter Aufsicht in den Hof. Es war relativ ruhig, die meisten Insassen hielten sich im Fernsehzimmer auf. Dank seines Badges passierte er die Sicherheitsschleuse zum »Heckenrosen«-Flur, den die Patienten nur mit spezieller Genehmigung verlassen durften.
    Die vergilbten Zimmertüren mit Spion erinnerten an Gefängniszellen. Es stank nach Chlor und verkochtem Essen. Zwei Glühbirnen der Deckenbeleuchtung funktionierten nicht mehr, und da sie niemand ausgewechselt hatte, war der hintere Teil des Ganges in unheimliches Dunkel getaucht. Ein trostloser Anblick, den Nino schon gar nicht mehr zur Kenntnis nahm. Er hörte das Hämmern aus der Isolierzelle. Der Obdachlose, der nach seinem Entzug an Delirium tremens litt, schlug mit dem Kopf immer wieder gegen die Wand.
    Colette hatte gerade ihren Dienst angetreten und war dabei, die Medikamente auf ihrem Wagen zu überprüfen. Sie drehte sich um und sah ihn erstaunt an.
    »Hast du heute nicht frei?«
    Nino ging zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Alles an Colette erinnerte an ein Mäuschen, sie war nicht größer als ein Meter fünfzig, hatte ein spitzes Kinn, eine Stupsnase und vorstehende Zähne. Das dünne, grau melierte Haar trug sie in der Mitte gescheitelt. Ruhig und friedlich brachte sie ihr letztes Dienstjahr zu Ende. Ihr Leben war stets dem Wohl anderer gewidmet gewesen, und sie war von einer Selbstlosigkeit, die einer Ordensschwester alle Ehre gemacht hätte. Sie versuchte, sich nie anmerken zu lassen, wie erschöpft und ausgelaugt sie war. Nino war sie stets eine große Hilfe.
    »Können wir kurz reden?«
    Für einen Moment sah Colette beunruhigt aus. Sie wusste genau, worüber ihr junger Chef mit ihr sprechen wollte. Sie folgte Nino in ein leeres Zimmer.
    »Wohin solltest du die Krankenakten bringen, die Manien sich von dir aus den Archiven hat holen lassen?«, wollte Nino ohne Umschweife wissen.
    Colette schürzte die Lippen.
    »In sein Büro.«
    »Wohin genau?«
    »Ich habe ihm einfach die Mappen gegeben. Ich weiß nicht, was er damit gemacht hat.«
    Tränen stiegen ihr in die Augen.
    »Ich hätte ihm sagen müssen, er soll sie sofort zurückgeben, doch ich hatte Angst, dass er mir eine schlechte Beurteilung schreibt … Es tut mir wirklich leid.«
    »Das ist nicht tragisch, wir werden sie finden und wieder einsortieren. Wo, glaubst du, könnte er sie versteckt haben?«
    »Ich habe sie danach nicht mehr gesehen. Vielleicht sind sie in seinem Schreibtisch eingeschlossen …«
    »Könntest du für mich nachsehen und versuchen, sie zu finden, bevor ich ernsthaft Ärger bekomme?«
    »Sofort?«
    »Ja, sofort. Er hat gerade Vorlesung, oder?«
    Colette sah zu Boden. Sie konnte ihren Vorgesetzten Manien nicht leiden, und vermutlich würde er nicht einmal merken, wenn sie die ausgeliehenen Krankenakten wieder zurückbrachte. Zumindest könnte sie mit ruhigem Gewissen in drei Monaten in Rente gehen und sicher sein, dass Nino keine Schwierigkeiten bekäme. Sie murmelte zaghaft: »Einverstanden.«
    Eine Viertelstunde später – Zeit genug, um im Aufenthaltsraum des Pflegepersonals einen Kaffee zu trinken und die Dienstpläne für nächste Woche durchzusehen – erhielt Nino vier hellblaue Mappen. Colette war erleichtert. Nino ließ die Unterlagen rasch in seiner Tasche verschwinden.
    »Ciao, bis Montag!«
    *
    Der Teppich in Fouestangs Büro wurde heller, gleichmäßig beige und verwandelte sich in ein Meer aus Sand. Der Sessel, in dem Cyrille saß, wurde immer anschmiegsamer und weicher.
    Ohne die Hände zu bewegen, strich sie über die körnige Masse, ließ sie durch ihre Finger rieseln. Ein warmes, sinnliches Gefühl. Die untergehende Sonne tauchte ihr Gesicht und ihre gebräunten Arme in ein orangefarbenes Licht. Sie schloss die Augen und sog den Duft des Meeres ein. Ihr langes, goldblondes Haar, das ihr über den Rücken fiel, wehte sanft in der leichten Brise. Der wehmütige Klang von Youris Akkordeon drang an ihr Ohr, und sie lächelte. Er verstand es, selbst aus ihrer tiefen Traurigkeit Freude hervorzulocken, er war einfach ein Magier. Gebannt lauschte

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