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Behalt das Leben lieb

Behalt das Leben lieb

Titel: Behalt das Leben lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaap Ter Haar
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in seiner eigenen Stimme die Verwunderung. Was wollte Tjeerd, ein mageres Bürschchen aus seiner Klasse – ein Ass im Lernen, aber ein ängstliches, ungeschicktes Gestell im Sport –, auf dem Fußballplatz?
    »Ich hab gehört, dass du heute Nachmittag hier bist.«
    »Ja.«
    Beer hatte Mühe, sich das Gesicht von Tjeerd genauer vorzustellen. In der Klasse hatte er sich immer abseits gehalten. Oder hatten sich die anderen nicht um ihn gekümmert, weil . . . tja, warum?
    »Wie steht es?«, fragte Tjeerd mit seiner bedächtigen Stimme. Es interessierte ihn natürlich kein bisschen.
    »Immer noch 0:0.«
    »Oh.«
    Worüber sollten sie reden? Beer überlegte, dass er nach irgendetwas in der Schule fragen musste, doch der bedächtige Tjeerd kam ihm zuvor: »Ich wollte dir eigentlich schreiben. Ich hab’s nicht gemacht und deshalb bin ich hier. Ich wollte dir sagen, nun ja, nicht nur, dass ich deinen Unfall schrecklich finde. Das findet ja jeder.«
    Geschrei auf dem Spielfeld. Der durchdringende Pfiff des Schiedsrichters, weil jemand die Regeln verletzt hatte. Aber Beer interessierte sich nicht mehr für das Spiel. Gespannt lauschte er der zögernden, vorsichtigen Stimme von Tjeerd und es schien, als hätte das Langweilige und Bedächtige in seiner Stimme einen anderen Klang bekommen. »Wenn du willst, helf ich dir in der Schule, so gut ich kann.«
    »Mensch, Tjeerd.« Beer wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
    »Den Rückstand, den du durch den Unfall hast,können wir leicht aufholen. Dann brauchst du das Jahr nicht noch mal zu machen. Dann bleibst du in unserer Klasse.«
    »Ich glaub, der Rektor ist nicht so sehr dafür.«
    »Warum nicht?«
    »Ein Blinder fällt einer Klasse natürlich zur Last.«
    »Ich seh nicht so viele Schwierigkeiten«, sagte Tjeerd. »Wirklich, ich hab lange darüber nachgedacht. Mit diesem Problem werden wir schon fertig. Deswegen bin ich ja hergekommen, hörst du? Um dir das zu sagen. Wenn du willst, komm ich jeden Tag zu dir und helf dir. Ich hab Zeit genug.«
    »Mensch, das ist wirklich großartig von dir.«
    »Denk mal darüber nach.«
    Diese bedächtige Stimme. In der dunklen Welt hinter Beers geschlossenen Augen spiegelte diese Stimme einen anderen Jungen als den zurückgezogenen, farblosen Tjeerd wider, den er früher in der Klasse gesehen hatte. Wie war es möglich, dachte Beer, dass er erst als Blinder ein Stück von Tjeerd, wie er wirklich war, entdeckt hatte? Seine Elf hatte ihm ein Tandem geschenkt und das war wirklich eine schöne Sache. Aber Tjeerd hatte sich selbst gegeben.
    Laute, empörte Stimmen vor dem Tor von Victoria.
    »Bennie ist im Strafraum ganz gemein gelegt worden«, sagte Tjeerd. Offenbar verstand er doch etwas von Fußball.
    »Und?«
    »Ja, der Schiedsrichter gibt Strafstoß.«
    »Gut so. Den wird Bennie schießen. Das wird bestimmt das 1:0.«
    Es wurde das 1:0. Die Jubelschreie nach der gespannten Stille sprachen für sich selbst.
    Beer empfand voller Dankbarkeit, dass er nach seinem Unfall noch keinen so schönen Tag erlebt hatte wie heute – mit seiner Mannschaft, die dem Sieg entgegenspielte, mit dem rotweißen Tandem in den Farben des Clubs und mit dem neu gewonnenen Freund neben sich. Trotz seiner Blindheit war er mit dem Leben sehr zufrieden.

7
    ». . . Die römischen Legionen werden im Verlauf eines dreitägigen Kampfes im Teutoburger Wald von den aufständischen germanischen Stämmen vernichtet. Von dreißigtausend Soldaten kann nur eine Handvoll entkommen, um den Bericht von der Katastrophe in die Festungen und Lager längs des Rheins zu bringen . . .« Tjeerds Stimme stockte.
    »Der Aufstand in Germanien war doch im Jahre 9 nach Christus?«, fragte Beer.
    »Stimmt. Soll ich das Stück noch mal vorlesen?«
    »Nicht nötig«, sagte Beer. »Ich hab’s jetzt im Kopf.«
    Das war richtig. Seit er blind war, sprach die Geschichte – diese Lektion der Toten für die Lebenden – eine viel deutlichere Sprache als früher. Während Tjeerd vorlas, hatte Beer den Aufstand von Arminius gegen die Römer deutlich vor sich gesehen. An der Spitze der Legionen der Statthalter Varus, stolz und reglos auf seinem Vollbluthengst. Dahinter die lange Marschkolonne, die Wagen mit Zelten, Waffen, Proviant, die mühsam ihren Weg durch das unwegsame, sumpfige Gelände suchten. Die jungen Offiziere, die kurze Befehle an die Kohorten gaben. Das Gefluche der alten Centurios. Und dann plötzlich der Überfall der im Hinterhalt liegenden Germanen. Ihre schwirrenden Pfeile und

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