Behandlungsfehler
ein Beweisbeschluss, den muss man auch durchlesen und prüfen, ob die Fragen denn auch tatsächlich richtig gestellt sind. Dann wird ein Sachverständiger bestellt. Ist dieser geeignet? Dann kommt das Gutachten, das muss man lesen und zunächst prüfen, ob dem Gutachter alle Unterlagen zur Verfügung standen. Danach gibt es Einwendungen gegen das Gutachten, man stellt Ergänzungsfragen. Und schließlich trifft man sich eines Tages vor Gericht. Der Aufwand für alle Beteiligten ist groß. Deshalb ist es so wichtig, realistisch einzuschätzen, wie hoch die Aussicht auf Erfolg ist.
Ich mache grundsätzlich keinen Unterschied zwischen den Mandanten, egal wie und von wem unsere Tätigkeit finanziert wird. Es ist so eine Art von Mischkalkulation, die ich betreibe. Wir haben Fälle mit hohen Streitwerten und welche mit niedrigen, Mandanten mit Prozesskostenhilfe oder Rechtsschutzversicherungen, Selbstzahler, Privat- und Kassenpatienten. Und allen gemein ist, dass sie Eingriffe in ihr Leben und ihre Gesundheit erfahren haben. Zu fast allen Fällen gibt es mehr als 100 Seiten Akten und in der Hälfte aller Fälle richten wir nach 300 Seiten einen zweiten Band ein. Was darin steht, muss ich im Kopf haben. Dazu kommen die Gespräche mit dem Mandanten, die Rücksprachen vor den
Terminen. Also, es steckt viel Arbeit in meinen Akten. Doch die Hauptsache ist, dass wir effektiv zum Ziel kommen. Dabei bin ich bemüht, ein für alle Beteiligten akzeptables Ergebnis zu erzielen.
Ich finde, dass die Gier begrenzt werden muss. Ich muss mir keinen Ferrari kaufen. Aber: Es ist auch nicht so, dass in meinem Beruf die silbernen Teller vom Himmel fallen.
Neulich erklärte ein anwaltlicher Kollege in der mündlichen Verhandlung vor Gericht, als es um die Frage der Kosten ging, dass ihn der Rechtsstreit nicht reich machen würde. Der Vorsitzende Richter antwortete, dass es in dem anwaltlichen Beruf ums Überleben ginge und nicht darum, reich zu werden. Er habe da anscheinend etwas falsch verstanden. Ich erlaubte mir den Einwand, gern über das »Wie« des Überlebens diskutieren zu wollen.
Der Off-Label-Use
Behandlung mit einem nicht zugelassenen Medikament
A nn a von Quirndorf hatte sich immer Kinder gewünscht. Aber etwas war schiefgelaufen. Zu ändern war offensichtlich nichts mehr. Der Krebs wucherte in ihrem Inneren und machte all ihre Pläne zunichte, mehr noch, er drohte, sie umzubringen. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, ihre Gynäkologin sei daran schuld. So richtig konnte sie das nicht benennen. Aber Frau von Quirndorf wollte es nicht bei einem vagen Gefühl belassen, sondern wünschte sich Klarheit. Sie bat ihre ehemalige Gynäkologin, ihr die Behandlungsunterlagen auszuhändigen. Doch die verweigerte ihren Wunsch.
Sehr leise erzählte sie: Sie sei zuweilen ein schrecklich korrekter Mensch, insbesondere, wenn es um die gynäkologische Vorsorge ginge. Sie habe auch Gründe dafür, aber das würde sie mir später noch erzählen. Sie schilderte mir zunächst einmal ihren Behandlungsverlauf: Sie war regelmäßig zu ihrem Frauenarzt gegangen, einem »ganz lieben, sehr sachlichen älteren Hasen«, mit dem sie immer sehr zufrieden war. Sie hatte sogar das Gefühl, dass er sich freute, wenn er sie sah. Vor fünf Jahren nahm er, wie üblich, einen Abstrich an ihrem Gebärmutterhals. Dabei stellte er fest, dass die Probe nicht ganz in Ordnung war. »Ein Wert ist kein Wert«, sagte er beruhigend und bat sie, in drei Monaten wiederzukommen. Doch auch der nächste Befund war auffällig. Der Arzt bat um
ein Gespräch. Er erklärte Frau von Quirndorf, dass in dem Abstrich auch diesmal ungewöhnliche Zellen, er sprach von PAP IV, gefunden worden seien, die eventuell eines Tages in Krebs übergehen könnten. Er wolle deshalb ein Stück aus dem Muttermund herausschneiden – eine sogenannte Konisation durchführen –, um die veränderten Zellen zu entfernen. Frau von Quirndorf war sprachlos. Sie vereinbarte einen Termin mit ihm für die Operation und ging erst einmal einen Kaffee trinken.
Am Abend besprach sie die Sache mit ihrem Freund. Sie lebten seit sechs Monaten zusammen, träumten von einer gemeinsamen Zukunft und wünschten sich ein Kind. Die Idee, dass jemand ausgerechnet jetzt an ihrem Muttermund herumschnitt, gefiel Anna von Quirndorf gar nicht. Sie hatte Angst, dass Narben zurückblieben und es Probleme bei der Schwangerschaft oder der Geburt geben könnte. Schwanger zu werden war ihr wichtig, und das nicht nur aus persönlichen
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