Behandlungsfehler
die Kanzlei gebracht, sodass wir schnell effiziente Arbeitsstrukturen besaßen. Ein Kommilitone, der damals mit seinem Studium noch nicht fertig war, aber schon bei verschiedenen Anwälten gearbeitet hatte, unterstützte uns und kümmerte sich um den IT-Bereich. So haben wir die Kanzlei aufgebaut.
Ich wurde oft belächelt. Ich hätte nicht unbedingt arbeiten müssen. Ich war in einer privilegierten Situation. Die Kollegen sagten manchmal zu meinem Mann: »Wie schön, dass deine Frau studiert …«, so nach dem Motto: Die eine geht zum Töpferkurs, die andere zur Fitness, mit irgendetwas müssen sich die Frauen beschäftigen. Das hat mich nicht geärgert. Auf die Meinung von anderen Leuten habe ich noch nie viel Wert gelegt. Von manchen Frauen hörte ich: »Ich hab mir auch schon überlegt, ob ich nicht noch mal studieren sollte. Kunst oder
Germanistik vielleicht. Jura, das wäre mir jedoch zu hart.« Zu so einem Studium gehört tatsächlich eine unheimliche Konsequenz, man muss sich die Zeit gut einteilen. Es ist einfach viel Arbeit. Als ich mit dem Studium fertig war, ging das Gerede weiter: »Oh, jetzt hat sie ihr Hobby abgeschlossen – was jetzt wohl kommt?« Als ich die Kanzlei gegründet habe und begann, recht ehrgeizig und sehr viel zu arbeiten, im Grunde an sechs Tagen in der Woche, konnten sehr viele das nicht verstehen. Und noch heute denken manche, dass diese Kanzlei vor allem mein Refugium ist, in das ich mich zurückziehen kann, wenn ich meine Ruhe haben möchte. Viele sind davon ausgegangen, dass Anwältin zu sein mein Hobby ist und ich das alles mit links mache. Dass ich damit tatsächlich ein Ziel verfolgt habe, nämlich als Arzthaftungsrechtlerin zu arbeiten und die Medizin aus dieser Sicht zu betrachten, können einige bis heute nicht verstehen.
Ich führe eine, als klein zu bezeichnende, Kanzlei in der Berliner Innenstadt. Die Suche nach geeigneten Büroräumen gestaltete sich seinerzeit schwierig. Irgendwann habe ich beschlossen, mir selbst jeden Milchladen anzuschauen. Irgendetwas Passendes musste es doch geben. So ergab es sich, dass ich eine uncharmante Anzeige über Büroräume las, die in meinem Wunschbezirk liegen sollten. Ich hinterließ eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter. Aber niemand rief zurück. So rief ich ein weiteres Mal an. »Ach, Sie möchten die Büroräume sehen? Kommen Sie doch vorbei und klingeln Sie. Ich bin da. Ich werde dann runterkommen. Das Büro ist im Hinterhof.« Ich fragte, wo sich die Büroräume genau befinden. »Neben der Autobahn«, hieß es. Innerlich schnaufte ich, aber mangels besserer Alternativen klingelte ich im Laufe des Tages.
In die Räume habe ich mich sofort verliebt. Allein die Lage meines Büros mag meine Eigenwilligkeit beschreiben. Ich residiere in der Remise eines Stadtpalais aus der Gründerzeit, das die Kriegswirren nicht überstanden hat. Früher war das
Hinterhaus vielleicht die Garage diverser Pferdefuhrwerke. 1888 hatte es der Textilkaufmann Moses Wolfenstein der jüdischen Gemeinde geschenkt, die sie zur Synagoge umbaute. Es gibt in Berlin vier dieser Kleinode. Am Eingang befinden sich die zehn Gebote in hebräisch und der Davidsstern.
Mein Chateaulais, wie es meine Kollegen zuweilen nennen, ist mehr lang als breit. Die Räume im Erdgeschoss sind dreieinhalb Meter hoch. Riesige Fenster lassen das Licht herein und die Inneneinrichtung je nach Sonnenstand mal glänzend, mal matt scheinen. Davor liegt ein idyllischer Hinterhofgarten. Bei schönem Wetter können wir draußen sitzen und Fälle und Strategien besprechen oder einfach nur unser Mittagessen einnehmen. Drinnen gelangt man über eine weiß lackierte Wendeltreppe auf die Galerie, auf deren grau-blauem Boden ein rotes Sofa steht. Zwei Büroräume schließen sich an. Einer davon ist meine »heilige Halle«. Alle Räume sind minimalistisch mit Designermöbeln eingerichtet, die ich vor einigen Jahren topgünstig von einem sich verkleinernden Büro erworben habe. Sie lassen die Räume warm und wohnlich erscheinen. Neulich hat mir mein Bruder eine kleine Discokugel geschenkt, die ich auf der Galerie an die Decke gehängt habe. Sie funkelt und produziert bizarre Effekte.
In meinem Chateaulais kann man den Alltag, den Lärm, den Verkehr, das rege Treiben der Großstadt hinter sich lassen und sich hervorragend auf die Arbeit konzentrieren. Die Ruhe und Stille vermittelt sich auch meinen Mandanten. Das erleichtert die Gespräche, bei denen es oft um Intimes und Eingriffe in
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