Behemoth - Im Labyrinth der Macht
Wildgraf streute Salz auf seine gekochten Eier und biss ab. »Darüber, dass er nicht mehr dazu verdammt ist, den Krieg in Ketten zu verbringen?«
»Aye, aber der arme Junge ist jetzt auf sich allein gestellt. Und Sie sitzen hier selbstgefällig und frühstücken in aller Ruhe. Ich denke, das ist einfach nur … gemein!«
Volger zögerte, und seine Gabel, auf der ein Stück Kartoffel steckte, stockte auf halbem Weg zum Mund. Er betrachtete Deryn von oben bis unten.
Deryn verkniff sich die nächsten Worte, denn sie hatte in ihrer Erschöpfung gerade schon die Beherrschung verloren. Ihre Stimme war ganz hoch und schrill geworden, und es grenzte an ein Wunder, dass die antike Teetasse nicht zersprungen war, weil sie das Porzellan so fest packte.
In all dem Durcheinander wegen des Alarms hatte sie völlig vergessen, dass Alek da draußen um sein Leben lief. Als sie jetzt hier saß und zuschaute, wie Volger seine Eier mit Salz bestreute, hatte sie das ganze Ausmaß der Sache erst richtig überwältigt.
Alek war weg – und er würde nicht zurückkommen.
Deryn stellte ihre Teetasse vorsichtig auf den Schreibtisch. Mit ihrer besten Jungenstimme sagte sie: »Sie sehen so aus, als wären Sie ungemein zufrieden mit sich selbst. Und vermutlich deshalb, weil Alek jetzt nicht mehr Ihr Problem ist.«
»Mein Problem?«, fragte Volger. »Glauben Sie wirklich, er war ein Problem für mich?«
»Aye. Sie sind froh, ihn los zu sein, weil er nämlich manchmal eine eigene Meinung hatte.«
Volgers Gesicht nahm wieder die gewohnte versteinerte Miene an, als ob Deryn ein Käfer wäre, der über sein Frühstück krabbelte. »Passen Sie mal auf, Junge. Sie haben keine Ahnung, was ich für Alek aufgegeben habe: meinen Titel, meine Zukunft, meinen Familiennamen. Ich werde meine Heimat niemals wiedersehen, gleichgültig, wer diesen Krieg gewinnt. In den Augen meines Volkes bin ich ein Verräter, und das nur, weil ich für Aleks Sicherheit gesorgt habe.«
Deryn wich seinem Blick nicht aus. »Aye, aber Sie sind nicht der Einzige, der sich gegen sein eigenes Land wenden musste. Ich habe Aleks Geheimnisse bewahrt und stets zur Seite geschaut, wenn Sie die Flucht geplant haben. Mir gegenüber brauchen Sie sich nichts anzumaßen.«
Volger starrte sie noch kurz an, dann lachte er müde. Schließlich schob er sich die Kartoffel in den Mund und kaute fröhlich. »Sie machen sich ja genauso viel Sorgen um ihn wie ich, nicht wahr?«
»Natürlich«, sagte Deryn.
»Das ist wirklich rührend.« Volger schenkte beiden Tee nach. »Ich freue mich, dass Alek Sie zum Freund hat, auch wenn Sie aus bürgerlichen Verhältnissen stammen.«
Deryn verdrehte die Augen. Aristokraten waren so hochnäsig.
»Aber auf diesen Moment hat sich Alek sein Leben lang vorbereitet«, fuhr Volger fort. »Sein Vater und ich wussten stets, dass er eines Tages allein auf sich gestellt sein würde, wenn sich die Welt gegen ihn wendete. Alek wiederum hat zur Genüge deutlich gemacht, dass er bereit ist, diesen Weg ohne mich weiterzugehen.«
Deryn schüttelte den Kopf. »Aber Sie haben alles falsch verstanden, Graf. Alek wollte nicht allein gehen, er hat sich mehr Verbündete gewünscht, nicht weniger. Er hat sogar gesagt, er wolle …«
Sie erinnerte sich an die Nacht, in der sie sich unterhalten hatten. Alek hatte sich gewünscht, es gäbe für ihn eine Möglichkeit, an Bord der Leviathan zu bleiben, weil er auf dem Luftschiff zum ersten Mal im Leben das Gefühl hatte, an einer Stelle zu sein, an die er gehörte. Und sie hatte sich wie ein Oberpenner benommen, weil er ihr nicht seine unsterbliche Liebe zu ihr gestanden hatte.
Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals.
Volger beugte sich vor und betrachtete sie. »Sie sind ein sehr sensibler Junge, Dylan.«
Deryn sah ihn trotzig an. Man war nicht gleich »sensibel«, nur weil man wusste, welche Sachen wichtig waren. »Hoffentlich geht es ihm gut«, sagte sie, nachdem sie heftig geschluckt hatte.
»Ja, hoffentlich. Vielleicht können wir beide zusammen Alek immer noch helfen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er muss in diesem Krieg eine größere Rolle übernehmen, als Ihnen bislang bekannt ist, Dylan«, sagte der Graf. »Sein Großonkel, der Kaiser, ist ein alter Mann.«
»Aye, aber der Thron bedeutet Alek überhaupt nichts, denn seine Mutter ist nicht adlig genug. Oder?«
»Ah, ich verstehe, er hat Ihnen alles erzählt«, sagte Volger und lächelte schief. »In der Politik gibt es jedoch stets Ausnahmen. Wenn der
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