Bei Anbruch der Nacht
war’s?‹, und mich ebenfalls umarmt. Dann können wir weitermachen wie vorher. Bevor diese ganze schreckliche Chose angefangen hat. Das ist dein Auftrag. Eigentlich ganz einfach.«
»Ich will gern alles tun, was ich kann«, sagte ich. »Aber hör mal, Charlie, bist du sicher, dass sie in der Stimmung für Besuch ist? Ihr habt offensichtlich eine Krise. Bestimmt ist sie genauso aufgeregt wie du. Ganz ehrlich, ich verstehe nicht, wieso du mich ausgerechnet jetzt hergeholt hast.«
»Was soll das heißen, du verstehst nicht? Ich habe dich gebeten zu kommen, weil du mein ältester Freund bist. Ja, gut, ich habe viele Freunde. Aber letztlich, bei genauerer Überlegung, ist mir klar geworden, dass du der Einzige bist, der dafür infrage kommt.«
Ich muss zugeben, dass mich das ziemlich rührte. Trotzdem sah ich, dass hier irgendwas nicht stimmte und er es mir verschwieg.
»Ich könnte verstehen, dass du mich zu euch nach Hause einlädst, wenn ihr beide da wärt«, sagte ich. »Wie das funktionieren soll, könnte ich verstehen. Ihr redet nicht miteinander, also ladet ihr euch als Ablenkung einen Gast ein, zeigt euch beide von eurer besten Seite, Tauwetter setzt ein. Aber in diesem Fall wird das nichts, denn du bist nicht da.«
»Tu’s für mich, Ray. Ich glaube, es könnte klappen. Emily lässt sich immer von dir aufmuntern.«
»Sie lässt sich von mir aufmuntern? Weißt du, Charlie, ich möchte wirklich helfen. Aber mir scheint, hier irrst du. Ich habe, offen gestanden, nicht den Eindruck, dass sich Emily von mir aufheitern lässt – das ging nicht mal in den besten Zeiten. Und bei meinen letzten Besuchen hier war sie … nun, ziemlich ungeduldig mit mir.«
»Schau, Ray, vertrau mir einfach. Ich weiß, was ich tue.«
Emily war in der Wohnung, als wir zurückkamen. Ich muss gestehen, ich war bestürzt, wie sehr sie gealtert war. Seit meinem
letzten Besuch war sie nicht nur beträchtlich schwerer geworden, sondern ihr einst so selbstverständlich ansprechendes Gesicht hatte jetzt etwas Bulldoggenhaftes, mit einem griesgrämigen Zug um den Mund. Sie saß auf dem Sofa im Wohnzimmer und las die Financial Times , und als ich hereinkam, stand sie ziemlich mürrisch auf.
»Schön, dich zu sehen, Raymond«, sagte sie, küsste mich flüchtig auf die Wange und setzte sich gleich wieder. Die ganze Art, wie sie das tat, weckte in mir das Bedürfnis, mich wortreich zu entschuldigen, dass ich zu einer so ungünstigen Zeit bei ihnen hereinplatzte, aber bevor ich etwas sagen konnte, klopfte sie neben sich auf das Sofa und sagte: »So, Raymond, setz dich hierher und beantworte meine Fragen. Ich will alles wissen, was du so getrieben hast.«
Ich setzte mich, und sie nahm mich ins Verhör, sehr ähnlich wie Charlie vorhin im Restaurant. Charlie packte unterdessen für seine Reise, kam auf der Suche nach verschiedenen Gegenständen hin und wieder herein und verschwand gleich wieder. Ich merkte, dass sie einander keines Blickes würdigten, aber trotz seiner anderslautenden Behauptungen schien es ihnen auch kein großes Unbehagen zu verursachen, wenn sie sich im selben Raum aufhielten. Und obwohl sie nie direkt miteinander sprachen, schaltete sich Charlie immer wieder in einer merkwürdig indirekten Art ins Gespräch ein. Zum Beispiel rief er, als ich Emily erklärte, weshalb es so schwierig sei, einen Mitbewohner zu finden, um die Last der Miete zu teilen, von der Küche her:
»Seine Wohnung ist einfach nicht auf zwei Leute ausgerichtet! Sie ist für eine Person, und zwar eine mit ein bisschen mehr Kohle, als er je haben wird!«
Emily gab keine Antwort, muss die Information aber zur
Kenntnis genommen haben, denn sie sagte darauf: »Raymond, du hättest dir nie so eine Wohnung nehmen dürfen.«
So ging das noch mindestens zwanzig Minuten weiter, Charlie leistete seine Beiträge von der Treppe her oder auf dem Weg zur Küche, meist in Form eines gerufenen Einwurfs, der sich auf mich in der dritten Person bezog. Irgendwann brach es aus Emily heraus:
»Ehrlich, Raymond. Du lässt dich von dieser schauderhaften Sprachenschule ausbeuten, wo’s nur geht, dein Vermieter haut dich übers Ohr, wie es ihm passt, und was tust du? Lässt dich mit einer Dumpfbacke von Frau ein, die ein Alkoholproblem hat und nicht mal einen Job, um es sich wenigstens leisten zu können. Als hättest du’s extra darauf angelegt, alle zu vergraulen, denen noch irgendwas an dir liegt!«
»Er kann nicht erwarten, dass davon noch allzu viele übrig sind!«,
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