Bei Anbruch der Nacht
nicht über die Tischkante rollte, aber schließlich kriegte
ich es hin. Die zermürbende Panik von vorhin war verpufft. Ich war zwar nicht gerade die Ruhe selbst, aber dass ich mich in einen derartigen Zustand hineingesteigert hatte, kam mir jetzt einfach nur absurd vor.
Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück, legte mich aufs Sofa und griff wieder zu Jane Austen. Nach wenigen Zeilen überkam mich eine ungeheure Müdigkeit, und ehe ich mich versah, glitt ich wieder in den Schlaf.
Das Telefon weckte mich. Emilys Stimme tönte vom Anrufbeantworter, und ich setzte mich auf und ging an den Apparat.
»Oh, super, Raymond, du bist ja doch da. Wie geht’s dir, Lieber? Wie fühlst du dich jetzt? Hast du ein bisschen ausspannen können?«
Durchaus, versicherte ich ihr, ich hätte sogar geschlafen.
»Oje! Wahrscheinlich hast du wochenlang nicht richtig geschlafen, und gerade jetzt, wo du endlich eine kurze Auszeit hast, komm ich daher und stör dich! Tut mir leid! Und es tut mir auch leid, Ray, dass ich dich enttäuschen muss. Hier herrscht eine absolute Krise, und ich werde nicht so früh heimkommen können, wie ich gehofft hatte. Es wird noch mindestens eine Stunde dauern. Du hältst noch so lange aus, oder?«
Ich versicherte ihr abermals, wie entspannt und selig ich sei.
»Ja, du klingst jetzt wirklich stabiler. Es tut mir so leid, Raymond, aber ich muss gehen und zusehen, dass wir das wieder hinkriegen. Du nimmst dir alles, was du brauchst, ja? – bedien dich! Bis später, mein Lieber.«
Ich legte das Telefon ab und reckte die Arme. Draußen begann es zu dämmern, und ich ging durch die Wohnung und
schaltete Lampen ein. Dann betrachtete ich das »ruinierte« Wohnzimmer, und je länger ich es betrachtete, desto unnatürlicher und arrangierter schien mir die Verwüstung. Wieder breitete sich vom Magen her Panik aus.
Und wieder läutete das Telefon, und diesmal war es Charlie. Er stehe neben dem Laufband der Gepäckausgabe in Frankfurt, sagte er.
»Mann, das dauert ewig! Noch kein einziges Gepäckstück ist rausgekommen. Wie kommst du zurecht? Madame noch nicht zu Haus?«
»Nein, noch nicht. Hör mal, Charlie, dieser Plan von dir. Das funktioniert so nicht.«
»Was soll das heißen, es funktioniert nicht? Erzähl mir bloß nicht, du hast die ganze Zeit gegrübelt und Däumchen gedreht!«
»Ich bin deinem Vorschlag gefolgt, ich habe ein Chaos veranstaltet. Aber es kommt mir nicht überzeugend vor. Es sieht einfach nicht so aus, als hätte ein Hund herumgetobt. Sondern wie eine Kunstinstallation.«
Eine Weile schwieg er, vielleicht konzentrierte er sich auf das Gepäckband. Dann sagte er: »Ich versteh dein Problem. Es ist fremdes Eigentum. Natürlich bist du gehemmt. Also hör zu, ich zähl dir ein paar Dinge auf, die ich liebend gern beschädigt sähe. Hörst du zu, Ray? Folgendes will ich ruiniert haben. Diesen bescheuerten Porzellanochsen. Er steht neben dem CD-Player. Das war ein Geschenk von diesem Drecks-David Corey, er hat es von seiner Reise nach Lagos mitgebracht. Das kannst du schon mal zertrümmern. Eigentlich ist es mir egal, was du kaputt machst. Mach alles kaputt!«
»Charlie, bitte reg dich nicht wieder auf!«
»Okay, schon gut. Aber diese Wohnung ist voller Schrott! Genau wie unsere Ehe jetzt. Voll von langweiligem Schrott. Dieses schwammige rote Sofa. Du weißt, welches ich meine?«
»Ja. Ich habe gerade darauf geschlafen.«
»Das sollte schon längst im Müllcontainer sein. Warum schlitzt du nicht den Bezug auf und reißt die Polsterung heraus?«
»Charlie, jetzt reiß dich zusammen. Ich habe allmählich den Verdacht, du willst mir überhaupt nicht helfen. Du benutzt nur mich als Mittel zum Zweck, um deine Wut und deinen Frust auszulassen …«
»Hör doch auf mit dem Schwachsinn. Natürlich will ich dir helfen. Und natürlich ist mein Plan gut. Ich garantiere dir, dass er funktioniert. Emily hasst diesen Hund, sie hasst Angela und Solly, und ihr ist jeder Anlass recht, um sie noch mehr zu hassen. Hör zu.« Seine Stimme sank beinahe zu einem Flüstern herab. »Ich geb dir einen Eins-a-Tipp. Die geheime Zutat, die sie definitiv überzeugen wird. Das hätte mir auch schon früher einfallen können. Wie viel Zeit hast du noch?«
»Vielleicht eine Stunde …«
»Gut. Jetzt hör gut zu. Geruch. Das ist es. Du musst dafür sorgen, dass es in der Wohnung nach Hund riecht. Sie wird das in dem Moment registrieren, wenn sie die Tür aufmacht, wenn auch nur unterschwellig. Dann kommt sie ins Zimmer,
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