Bei Anbruch der Nacht
hier neben mir liegen habe, zitiere ich es so, wie es kam.
Gracie sagt, Sie haben dieses Luxusleben langsam satt. Mir geht’s genauso. Wie wär’s, wenn Sie zu mir zu Besuch kämen? Wenn fünf Uhr heute Nachmittag nicht zu früh für einen Cocktail ist? Dr. B. sagt, kein Alkohol, wahrscheinlich gilt das
auch für Sie. Es wird also wohl Soda und Perrier sein müssen. Hol ihn der Teufel. Dann sehe ich Sie heute um fünf, sonst bricht mir das Herz. Lindy Gardner.
Vielleicht lag es daran, dass mir zu diesem Zeitpunkt schon grenzenlos langweilig war; oder dass es mit meiner Stimmung wieder aufwärtsging; oder dass mir der Gedanke, mit einer Mitgefangenen Geschichten austauschen zu können, extrem verlockend schien. Vielleicht war ich aber auch gegen Glamour nicht so gefeit, wie ich dachte. Jedenfalls empfand ich bei dieser Nachricht, trotz meiner Vorurteile gegenüber Lindy Gardner, ein Kribbeln der Aufregung, und ohne nachzudenken, sagte ich zu Gracie, sie könne Lindy ausrichten, dass ich um fünf Uhr zu ihr käme.
Lindy Gardner war noch schlimmer einbandagiert als ich. Bei mir war der Verband wenigstens oben offen, sodass die Haare herausstanden wie Palmen aus einer Wüstenoase. Aber bei Lindy hatte Boris den gesamten Kopf eingewickelt, sodass er, bis auf die Schlitze für Augen, Nase, Mund, die Form einer Kokosnuss hatte. Was aus der üppigen blonden Mähne geworden war, wusste ich nicht. Ihre Stimme war allerdings nicht so beeinträchtigt, wie man erwartet hätte; ich erkannte sie aus dem Fernsehen wieder.
»Na, wie finden Sie das alles hier?«, fragte sie. Als ich antwortete, ich fände es nicht so schlimm, sagte sie: »Steve – darf ich Sie Steve nennen? Gracie hat mir alles über Sie erzählt.«
»Ach? Das Schlimme hat sie hoffentlich weggelassen?«
»Also, ich weiß, dass Sie Musiker sind. Und ein sehr vielversprechender.«
»Das hat sie gesagt?«
»Steve, Sie sind angespannt. Ich möchte, dass Sie locker werden, wenn Sie bei mir sind. Manche Prominente haben es gern, wenn die Leute in ihrer Gegenwart nervös sind, das weiß ich. Da fühlen sie sich dann noch außergewöhnlicher. Aber ich hasse das. Behandeln Sie mich bitte so, als wäre ich eine ganz normale Bekannte von Ihnen. Also was haben Sie gesagt? Sie sagten, dass Ihnen das alles hier nicht so viel ausmacht.«
Ihr Zimmer war um einiges größer als meines, und es war überhaupt nur der Aufenthaltsraum ihrer Suite. Wir saßen uns auf identischen weißen Sofas gegenüber, und zwischen uns stand ein niedriger Couchtisch, bestehend aus einer Rauchglasplatte, durch die man das Trumm Treibholz sah, das den Sockel bildete. Auf der Tischplatte lagen Hochglanzmagazine verstreut, dazwischen stand ein noch in Zellophan verpackter Früchtekorb. Wie ich hatte sie die Klimaanlage auf höchster Stufe laufen – es wird einem warm unter den Verbänden – und die Jalousien vor den Fenstern gegen die Abendsonne heruntergelassen. Ein Zimmermädchen hatte mir ein Glas Wasser und einen Kaffee gebracht – beides mit Strohhalm: So muss hier alles serviert werden – und war wieder gegangen.
Als Antwort auf ihre Frage sagte ich, das Schlimmste für mich sei, dass ich nicht Saxofon spielen könne.
»Aber Sie sehen ein, warum Boris Sie nicht lässt, oder?«, sagte sie. »Stellen Sie sich bloß vor! Sie blasen einen Tag zu früh in Ihr Horn, und es fliegen Teile Ihres Gesichts durchs Zimmer!«
Das schien sie urkomisch zu finden, denn sie fügte mit einer wegwerfenden Handbewegung hinzu: »Hören Sie bloß auf, Sie sind schrecklich!« – als hätte ich diesen Witz gemacht. Ich stimmte in ihr Lachen ein und nippte mit dem Strohhalm
an meinem Kaffee. Sie begann nun von verschiedenen Freunden zu berichten, die sich in letzter Zeit hatten operieren lassen, erzählte, wie es ihnen ergangen war, was sie an Komischem erlebt hatten. Alle, die sie erwähnte, waren entweder selbst prominent oder mit einer Prominenz verheiratet.
Dann wechselte sie plötzlich das Thema. »Sie sind also Saxofonist«, sagte sie. »Das war eine gute Entscheidung. Das ist ja ein wunderschönes Instrument. Wissen Sie, was ich zu allen jungen Saxofonisten sage? Ich sage, sie sollen den alten Hasen zuhören. Ich kannte mal einen Saxofonisten, aufstrebender Nachwuchs wie Sie, der hörte ständig lauter unerreichbare Cracks. Wayne Shorter und so. Ich sagte, von den alten Hasen lernst du mehr. Mag sein, sie waren nie bahnbrechend, sag ich zu ihm, aber diese alten Hasen verstehen ihr Geschäft.
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