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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Massarts Dogge wäre aus dem Gebirge zurückgekommen. Massart ist mit seinem Hund abgehauen, weil Massart meine Mutter getötet hat, weil sie wußte, was er ist.«
    »Ein Werwolf«, sagte der Wacher und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
    »Und es heißt«, fuhr Soliman erregt fort, »daß die Bullen keine Ermittlungen aufnehmen, daß sie kein Wort von dem geglaubt haben, was der Trapper ihnen gesagt hat. Stimmt das, Camille?«
    Camille nickte.
    »Ist das sicher? Sie werden nicht das Geringste tun?«
    »Nichts«, bestätigte Camille. »Sie suchen ihn tot oder verletzt am Mont Vence, und wenn sie ihn in ein paar Tagen nicht gefunden haben, geben sie die Suche auf.«
    »Weißt du, was er jetzt tun wird, Camille?«
    »Ich vermute, daß er auf seiner Strecke noch ein paar Schafe töten und nach England abhauen wird.«
    »Und ich vermute, daß er sehr viel mehr als nur Schafe umbringen wird.«
    »Aha. Du auch?«
    »Wer denn noch?«
    »Lawrence.«
    »Lawrence hat recht.«
    »Weil Massart ein Werwolf ist«, verfügte der Wacher und schlug erneut mit der Hand auf den Tisch.
    Soliman leerte sein Glas.
    »Camille, sehe ich aus wie jemand, der den Mörder meiner Mutter bis nach England fliehen läßt?« fragte er.
    Camille sah Soliman an, seine braunen, glänzenden Augen, seine leicht bebenden Lippen.
    »Nicht ganz«, mußte sie gestehen.
    »Weißt du, was mit Toten geschieht, die ermordet wurden und die niemand gerächt hat?«
    »Nein, Sol, wie soll ich das wissen?«
    »Sie vergammeln im stinkenden toten Fluß bei den Krokodilen, ohne daß sich ihr Geist je aus dem Schlamm befreien könnte.«
    Der Wacher legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter.
    »Dessen sind wir nicht sicher«, bemerkte er leise.
    »O.k.«, erwiderte Soliman. »Ich bin nicht einmal sicher, daß es in einem toten Fluß ist.«
    »Erfinde keine afrikanische Geschichte, Sol«, sagte der Wacher im selben Ton. »Für die junge Frau macht das alles noch komplizierter.«
    Solimans Blick wandte sich wieder Camille zu.
    »Weißt du, was der Wacher und ich also machen werden?« fuhr er fort.
    Camille zog die Augenbrauen hoch und wartete auf die Fortsetzung. Das fiebrige Verhalten von Soliman beunruhigte sie. Gewöhnlich war Sol ein ziemlich friedfertiger Junge. Sie hatte ihn am vergangenen Sonntag in der Toilette eingesperrt zurückgelassen, und sie sah ihn an diesem Abend wieder, zwar befreit, aber fast außer sich. Suzannes Tod hatte den Jungen völlig durcheinandergebracht und den Alten erschüttert.
    »Wir machen uns auf seine Spur«, verkündete Soliman. »Da die Bullen sich nicht darum kümmern, machen wir uns auf seine Spur.«
    »Wir heften uns an seine Fersen«, bestätigte der Wacher. »Und harpunieren ihn.«
    »Und dann?« fragte Camille mißtrauisch. »Übergebt ihr ihn den Bullen?«
    »Die können mich mal«, erwiderte Soliman, der würdige Erbe der stolzen Sprache Suzannes. »Wenn wir ihn den Bullen übergeben, übergeben die ihn wieder der freien Natur, und dann fängt das Ganze von neuem an. Der Wacher und ich werden nicht unser Leben damit verbringen, diesem Blutsauger hinterherzurennen. Alles, was wir wollen, ist, meine Mutter zu rächen. Also werden wir ihn harpunieren, und wenn wir ihn harpuniert haben, radieren wir ihn aus.«
    »Ausradieren?« fragte Camille.
    »Umlegen, halt.«
    »Und danach ist er tot, und zwar richtig tot«, präzisierte der Wacher. »Wir schlitzen ihm den Wanst von der Kehle bis zu den Eiern auf, um zu sehen, ob die Haare innen sind. Er kann schon glücklich sein, daß wir das nicht machen, wenn er noch lebt.«
    »Das ist der Fortschritt«, murmelte Camille.
    Sie begegnete dem Blick des Wachers, schönen Augen, die den Farbton von Whisky hatten.
    »Fallt ihr also auf diese Geschichte mit den Haaren herein?« fragte sie. »Fallt ihr wirklich auf diese Geschichte herein?«
    »Auf diese Geschichte mit den Haaren?« wiederholte der Wacher mit seiner dumpfen Stimme.
    Er verzog das Gesicht und verstummte.
    »Massart ist ein Werwolf«, brummte er dann. »Ihr Trapper hat das auch gesagt.«
    »Lawrence hat das nie gesagt. Lawrence hat gesagt, daß alle, die an den Werwolf glauben, alte, zurückgebliebene Wichser sind. Lawrence hat gesagt, daß alle, die davon reden, einen Typen bis zu den Eiern aufzuschneiden, damit rechnen müssen, ihn mit einem Bärentöter auf ihrem Weg anzutreffen. Schließlich hat Lawrence noch gesagt, daß Massart mit einer Dogge tötet oder mit einem großen Wolf, mit Crassus dem Kahlen, den sie

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