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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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unterstreichen.
    »Ich habe mit Montvailland gesprochen«, fuhr Adamsberg fort. »Ich habe ihn über Massart und die Bestie vom Mercantour informiert. Ich kenne den Mann. Er ist sehr gut, aber sehr rational, und das bremst ihn. Die Geschichte hat ihm gefallen, aber eher so, wie einem ein Gedicht gefällt. Und außerdem erträgt Montvailland Gedichte nur in Alexandrinern, immer vier zusammen. Das ist unser Handicap: Das Epos von Massart paßt nicht in einen zu eckigen Schädel. Die Wolfshypothese nimmt er hin. Letztes Jahr hatten sie südlich von Grenoble in der Nähe des Massif des Écrins Alarm wegen einem Wolf. Aber die Vorstellung, daß ein Mensch dahintersteht, will er nicht akzeptieren. Ich habe gesagt, für einen einzigen Wolf seien das eine ziemliche Strecke und ganz schön viele Opfer in ein paar Tagen, aber er glaubt, daß so etwas möglich ist, zum Beispiel, wenn der Wolf Tollwut hat. Oder wenn er einfach durchgedreht ist. Er wird eine Treibjagd und einen Hubschrauber beantragen. Und noch was...«
    Der Wacher hob die Hand, um ihn zu unterbrechen.
    »Hast du gegessen, mein Junge?«
    »Nein«, antwortete Adamsberg. »Ich habe nicht mehr daran gedacht.«
    »Sol, hol das Essen. Bring auch den Weißwein mit.«
    Soliman stellte eine Lattenkiste neben Adamsberg ab und hielt dem Wacher die Flasche hin. Niemand anderes als der Wacher hatte das Recht, den Weißwein von Saint-Victor auszuschenken, das hatten sie Camille am Tag nach ihrer Wache am Col de la Bonette schonend beigebracht.
    »›Imperialismus‹«, sagte Soliman und sah den Wacher an. »›Kollektiver oder individueller Expansions- und Herrschaftswille.«
    »Respekt, Sol«, erwiderte der Wacher.
    Er füllte ein Glas für Adamsberg und streckte es ihm hin.
    »Der ist stramm«, sagte er. »Vorsicht, er ist heimtückisch.«
    Adamsberg bedankte sich mit einem Nicken.
    »Sernot hat eine Schädelprellung«, sagte Adamsberg, »als sei er geschlagen worden, bevor man ihm die Kehle durchgeschnitten hat. Hat man irgend etwas Ähnliches an Suzanne Rosselin bemerkt?«
    Ein kurzes Schweigen.
    »Davon wissen wir nichts«, sagte Soliman mit leicht bebender Stimme. »Das heißt, zu dem Zeitpunkt hat man wirklich an einen Wolf geglaubt. Da hat noch niemand an Massart gedacht. Ihr Schädel wurde nicht untersucht.«
    Soliman verstummte.
    »Ich verstehe«, erwiderte Adamsberg. »Ich habe Montvailland darauf hingewiesen. Aber seiner Ansicht nach hat Sernot sich verletzt, als er mit dem Tier gekämpft hat. Das ist rational. Montvailland will da nicht weiter. Zumindest habe ich erreicht, daß er die Leiche nach Haaren untersucht.«
    »Massart hat keine Haare«, brummte der Wacher. »Und es sieht nicht so aus, als würden die, die ihm nachts wachsen, ausgehen.«
    »Tierhaare«, präzisierte Adamsberg. »Damit wir wissen, ob es sich um einen Hund oder einen Wolf handelt.«
    »Wissen sie, wann der Angriff stattgefunden hat?« fragte Soliman.
    »Gegen vier Uhr morgens.«
    »Er hätte also die Zeit gehabt, vom Tête du Cavalier bis nach Sautrey zu kommen. Was hat Sernot um vier Uhr morgens draußen gemacht? Haben sie da eine Vorstellung?«
    »Das ist für Montvailland kein Problem. Sernot war ein Kletterer, ein Wanderer, einer dieser Typen, die lange, anstrengende Wanderungen lieben, und er konnte schlecht schlafen. Es kam vor, daß er um drei Uhr morgens aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte. Wenn's ihm zuviel wurde, ging er raus, wandern. Montvailland denkt, daß er dem Tier bei dessen nächtlicher Jagd begegnet ist.«
    »Das ist rational«, bemerkte Camille.
    »Warum soll das Tier ihn angegriffen haben?« fragte Soliman.
    »Durchgedreht.«
    »Wo ist das passiert?« fragte Camille.
    »An der Kreuzung zweier Feldwege, an der Croisée du Calvaire. Da steht ein großes Holzkreuz auf einem kleinen Hügel. Die Leiche lag am Fuß des Kreuzes.«
    »Die Kerzen«, murmelte Soliman.
    »Bigott«, ergänzte der Wacher.
    »Darüber habe ich mit Montvailland ebenfalls gesprochen.«
    »Hast du ihm von uns erzählt?« fragte Camille.
    »Das ist das einzige, von dem ich ihm nicht das Geringste erzählt habe.«
    »Dabei brauchte man sich nicht zu schämen«, sagte der Wacher mit einem gewissen Hochmut.
    Adamsberg sah den Schäfer an.
    »Jemanden zu bedrängen ist verboten«, sagte er. »Das fällt unter die Bestimmungen des Gesetzes.«
    »Wir scheißen auf die Bestimmungen des Gesetzes«, erklärte Soliman.
    »Wir bedrängen ihn nicht«, fügte der Wacher hinzu. »Wir haben uns an seine

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