Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
Blick auf das obligatorische Namensschild, die junge Frau. »Frau Krämer. Sie haben ja schon angefangen.«
Unsicher ließ die Friseurin den Pinsel über Ankes Kopf schweben. »Hallo, ähm, ja. Sollten wir warten?«
»Nein.« Anke sah sich nicht zu Doris um, sondern hielt sich sehr gerade. »Ich bin volljährig und darf meine Haarfarbe selbst bestimmen. Die beiden Damen hier machen sich nur gern etwas wichtig. Könnt ihr nicht einen Kaffee trinken gehen, bis ich fertig bin? Es wird übrigens Honigblond.«
»Honigblond ist gut.« Katja schob ihre Hände in die Tasche des Bademantels. »Das hätte ich auch vorgeschlagen. Lass mal deine Füße sehen.«
Sie beugte sich vor.
»Bitte. Falls du die Nummer nicht weißt: 505.«
Katja lachte, trat einen Schritt zurück und ließ Frau Krämer weiterarbeiten. »Sehr gut, Kerner, langsam wird was aus dir. Also, wir sitzen im Bistro, bis später.«
Beim Verlassen des Salons drehte Doris sich noch einmal zu Anke um. Die starrte konzentriert auf ihr Spiegelbild, als könnte sie selbst kaum glauben, was da gerade mit ihr passierte.
Auf dem Weg zum Bistro sagte Katja: »Sie hat dir von ihren Schulden erzählt, oder?«
»Ja.« Doris nickte. »Also zumindest ein bisschen. Das ist richtig heftig, ich glaube, ich könnte nicht ruhig schlafen. Ich weiß zwar nicht, was sie verdient, aber so viel wird das auch nicht sein. Ich hatte schon überlegt, ob die Idee mit dem Friseur überhaupt gut ist. Nicht, dass sie das als Almosen |162| empfindet und wieder stachelig wird, weil sie denkt, dass sie uns leidtut.«
»Anscheinend bekommt ihr dieses Wochenende gut. Dafür, dass sie sich anfangs so dagegen gesperrt hat, entspannt sie sich doch langsam. Guck mal, der Tisch da vorn ist genau richtig für uns.«
Sie bestellten Kaffee, bevor Katja das Gespräch wieder aufnahm. »Ich verstehe jetzt auch, warum sie diesen Redaktionsjob angenommen hat. Ich habe ihr übrigens vorhin gesagt, dass ich weiß, was für Bücher sie macht.«
»Und?« Doris reagierte erschrocken. »Was hat sie geantwortet?«
Katja zuckte die Achseln. »Gar nichts. Aber ist es nicht dämlich, dass Anke ihr Talent so verschwendet? Erinnere dich mal an früher, an das, was sie alles geschrieben hat. Die ›Wilden Wörter‹ hätten doch ohne sie ganz anders ausgesehen, jeder ihrer Artikel war super. Und jetzt redigiert sie Haustierratgeber.«
Der Kaffee kam, Doris wartete einen Moment, dann sagte sie ruhig: »Aber Anke hat sich das ja selbst ausgesucht. Ich habe keine Ahnung, warum sie nie zu einer Zeitung gegangen ist. Für mich war sie immer eine Journalistin, aber vielleicht hatte sie einfach nicht genügend Ehrgeiz. Es sind ja nicht alle so zielstrebig wie du. Und inzwischen ist der Zug auch abgefahren, da dürfen wir uns nichts mehr vormachen.«
Katja stützte ihr Kinn auf die Faust und blickte an Doris vorbei in den Raum. ›So zielstrebig wie du‹, hatte Doris gesagt. Andere waren der Meinung, dass Katja Severin, wenn es nötig wäre, auch über Leichen ginge. Vielleicht war da etwas dran.
|163| Sie wandte sich wieder zu Doris und musste sich räuspern. »Ob der Zug abgefahren ist, das weiß ich nicht. Okay, keine von uns macht vermutlich noch mal was ganz anderes, aber wenn wir eine geniale Idee oder ein Konzept hätten, könnten wir jetzt auch noch etwas Neues anfangen. Wir sind doch noch nicht zu alt.«
Nachdenklich spielte Doris mit dem Teelöffel. »Geniale Idee? Was soll das sein? Ich habe doch noch nicht mal eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ich kann ganz gut zeichnen, ich kann gut kochen, habe Wohnungen eingerichtet und verkauft, kann Gärten und Terrassen planen, aber das ist doch alles nichts Halbes und nichts Ganzes. Bei dir klingt es immer so einfach, wenn es um Veränderungen geht.«
»Ach, Doris.« Mit funkelnden Augen beugte Katja sich vor. »Es ist einfach. Du musst nur herausfinden, wofür du Leidenschaft entwickeln kannst. Was würdest du richtig gern machen? Was kannst du gut? Du vergeudest auch Talent, indem du in Lüneburg rumsitzt und vor lauter Langeweile Wein und Sekt in dich hineinschüttest.«
Empört fuhr Doris sie an: »Was hast du denn immer …?«
»Du, es ist mir egal, ob du viel oder wenig oder jeden Tag oder nur ab und zu aus Frust trinkst. Aber ich weiß, dass du es tust, ich habe es auch bei unseren Telefonaten gemerkt. Also hör auf, es zu leugnen. Mach dir lieber Gedanken darüber, was du stattdessen anfangen könntest. Ich habe übrigens keine Lust, die
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