Bei Interview Mord
auch als Kameramann.
»Zeigen Sie mir, was draußen passiert ist«, sagte ich.
Kürten machte mit einem Mausklick ein Menü auf, das wie die Bedienungskonsole eines DVD-Players aussah, und wählte die Vorlauftaste. Nach wenigen Sekunden erfolgte ein Schnitt, und das Rathaus war zu sehen. Kürten musste rechts neben dem schwankenden Keksspringbrunnen gestanden haben. Er hatte die Vorgänge auf der Rathaustreppe genau im Visier. Festlich gekleidete Menschen säumten die Stufen, mittendrin befand sich das Brautpaar, zwischen den beiden Jutta. Sie trug einen Kopfhörer und hielt ein Mikro in der Hand.
»Jetzt geht es gleich los«, sagte Kürten.
»Warum haben Sie eigentlich keinen Ton dabei?«, fragte ich. Mir war plötzlich aufgefallen, dass wir einen Stummfilm sahen.
»Das Mikro von meiner Kamera ist kaputt«, sagte er betreten. »Ich hoffe, das macht nichts.«
Mein Gott, dachte ich. Der Mann ist nicht nur ein Stümper. Er ist eine Katastrophe.
»Jetzt! Schauen Sie mal hier!«, rief Kürten aufgeregt. »Da habe ich einen Rundumschwenk gemacht.«
Die Kamera zeigte die linke Mündung der Fußgängerzone. Dann kreiste sie nach rechts, vorbei am nahen Springbrunnen, neben dem der weiße Ü-Wagen stand, groß wie ein Wohnmobil. Die Kamera streifte die gesamte Rathausfront, und dann kam rechts die Kirche ins Bild.
»Stopp!«, rief ich, und Kürten klickte. Der Film erstarrte.
Da war der Motorradfahrer. Eine schwarze Gestalt. Ein Rucksack auf dem Rücken war zu erahnen. Er stand abfahrbereit in Richtung der Laurentiusstraße. Deutlich zu sehen war das Nummernschild. Es begann mit GL. Ich merkte mir das Kennzeichen.
»Machen Sie weiter«, sagte ich. »Das sieht ja schon sehr brauchbar aus.«
Kürten bewegte die Maus und setzte den Film wieder in Gang.
Die Kamera fuhr zurück in die Mitte und nahm die drei Hauptpersonen ins Visier. Das Brautpaar und Jutta.
»Jetzt fängt das Interview an«, erklärte Kürten. »Das hab ich genau abgepasst. Dass der Schwenk in diesem Moment zu Ende ist.«
Die Kamera zoomte etwas näher. Landauer, Heike Quisselborn und Jutta waren erst unscharf, doch das wurde sofort korrigiert. Jutta nickte und schien auf etwas zu reagieren, was sie im Kopfhörer gesagt bekam, dann packte sie das Mikro fester, und es ging los.
»Sind Sie die ganze Zeit so nah drangeblieben?«, fragte ich.
»Passen Sie auf.«
Während des Interviews entfernte sich die Kamera, und Stück für Stück wurde wieder die Umgebung sichtbar.
»Achtung, jetzt passiert's gleich«, verkündete Kürten.
Jutta redete mit Landauer. Offenbar erzählte er gerade von seinem Trick, den er demnächst vorführen wollte.
»Da«, sagte Kürten, und ich wunderte mich, wie unspektakulär die Sache ablief. Zwei, drei Sekunden redeten sie. Dann sackte Landauer plötzlich nach vorn und fasste sich an die Brust. Mit der linken Hand versuchte er sich am Geländer festzuhalten, doch dann ging er unerbittlich zu Boden. Er wirkte wie eine Puppe. Jutta beugte sich über ihn und sagte etwas. Heike Quisselborn riss die Arme nach oben und schlug die Hände vors Gesicht. Jetzt kam Jutta wieder hoch und sah sich um. Die Kamera wackelte. Offenbar hatte jemand Kürten angestoßen. Die Einstellung blieb, die Szene füllte sich mit Menschen, die nach vorn rannten.
»Wo ist der Motorradfahrer?«, fragte ich.
»Der war schon weg.«
»Das heißt, Sie haben ihn gar nicht mehr draufgekriegt?«
»Ich wusste ja nicht, dass der was damit zu tun hatte! Das kam doch erst später raus! Aber dafür habe ich das hier.« Kürten spulte den Film kurz zurück. Er blieb unmittelbar vor der Stelle stehen, wo Landauer zusammensackte.
»Passen Sie auf«, sagte er.
Er bewegte den Film in Zeitlupe minimal nach vorn und deutete auf den Monitor. »Sehen Sie den kleinen schwarzen Strich hier?«
Ich bemühte mich, aber es war schwierig. Das Bild war unscharf.
»Hier, vor der bräunlichen Mauer.«
»Was ist das?«, fragte ich.
Kürten strahlte. »Das ist der Pfeil. Hier, Sie können sogar den roten Teil hinten sehen.«
Ich kniff die Augen zusammen. Ja, da war so was zu erahnen.
»Und jetzt…« Kürten bewegte den Film einen Sekundenbruchteil weiter. »Hier sehen Sie, wie der Pfeil den Mann trifft. Der schwarze Strich ist ein Stück weitergeflogen. Das rote Ende ist jetzt hier.«
Er deutete mit dem Mauszeiger auf die Stelle, die jetzt weiter links lag.
»Sieht so aus«, sagte ich.
»Das ist praktisch der Moment, in dem Landini getroffen wurde«, sagte Kürten.
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