Bei Landung Liebe
hätte, dass ich mir mal mit meinem Bruder die Wohnung teilen würde, hätte ich denjenigen vermutlich für verrückt erklärt. Obwohl Markus nur drei Jahre älter war, konnten wir als Kinder nie miteinander spielen. Zum Einen gab ich Ryan daran die Schuld, da er dauernd bei meinem Bruder war und sicherlich einen nicht gerade geringen Anteil an den ganzen Streichen hatte. Zum Anderen wollte Markus früher immer nur mit seinen Spielzeugsoldaten spielen und daran hatte ich keinerlei Interesse. Wenn unsere Mutter uns zu einem Brettspiel überredete, war es Markus stets ein Leichtes mich über den Tisch zu ziehen, damit er gewann. Meist manipulierte er dabei die Spielregeln zu seinen Gunsten. Aber Markus war nicht nur ein unfairer Spieler, er war auch ein furchtbarer Gewinner. Er liebte es, mir stundenlang meine Niederlage unter die Nase zu reiben.
Aber als wir von dem Tod unserer Eltern erfuhren, klammerten wir uns wie zwei ertrinkende aneinander. Ich bezweifle, dass einer von uns beiden in der Lage gewesen wäre, die Beerdigung und all die Behördengänge alleine zu meistern. Innerhalb weniger Tage war unser Leben komplett auf den Kopf gestellt worden, und mein Bruder und ich betrachteten uns gegenseitig plötzlich mit anderen Augen.
„Wir sollten Oma mal wieder besuchen, was hältst du davon?“, schlug Markus nach einiger Zeit vor.
Ich überlegte kurz: „Stimmt, ich glaube, das letzte Mal hatten wir sie zu Ostern besucht.“
„Wir könnten am Wochenende mit dem Motorrad hinfahren. Die zweihundert Kilometer fahren wir mit meiner Maschine schneller als mit dem Zug.“
„Markus, du weißt ganz genau, dass ich mich nicht auf ein Motorrad setze. Schon gar nicht auf dein Motorrad.“
„Komm, sei kein Feigling.“
„Das hat nichts mit Feigheit zu tun. Nach zehn Minuten sind mir die Beine eingeschlafen.“
„Na gut. Dann fahren wir eben wieder mit dem Zug.“
„Vielleicht sollten wir uns doch ein Auto zulegen.“
„Wozu das denn?“ Markus hielt mir seine rechte Hand vor die Nase und begann an seinen Fingern abzuzählen, wie vorteilhaft die Innenstadtlage unserer Wohnung war.
„Erstens musst du gerade mal zehn Minuten laufen, um in die Praxis zu kommen. Zweitens hält mein Bus genau vor meinem Betrieb. Drittens sparen wir uns eine Menge Geld, die wir sonst für Steuern, Reparaturen und Benzin ausgeben müssten. Viertens liegt der Supermarkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Fünftens …“
„Schon gut, schon gut“, unterbrach ich ihn lachend.
„Du hast mal wieder recht.“
Freundschaftlich prostete ich meinem Bruder mit meiner Cola zu.
„Ich muss demnächst für mehrere Tage zu einer Schulung nach Berlin. Geschäftsreise quasi. Geht alles auf Kosten der Firma. Den genauen Termin weiß ich aber noch nicht“, begann Markus schließlich.
Mein Bruder arbeitete in einer kleinen Autowerkstatt. Er verdiente dort zwar kein Vermögen, aber er mochte seine Arbeit und kam mit seinen Kollegen gut aus. Das Klima dort war sehr familiär.
„Ich hoffe, du und Ryan schlagt euch nicht die Köpfe ein, während ich weg bin.“ Ich erinnerte mich an den Vorfall in der Küche. Seitdem war ich Ryan noch gewissenhafter, als sonst aus dem Weg gegangen. Hoffentlich war ihm dass eine Lehre gewesen.
„Mach dir keine Sorgen. Im Notfall werde ich mit dem schon fertig. Oder hast du etwa vergessen, dass ich als Kind Taekwondo gemacht habe?“
„Du warst dort zu einer Schnupperstunde, und dann bist du nie wieder da hingegangen!“, lachte Markus.
„Na immerhin habe ich gelernt, wie man diese komische weiße Kluft richtig anzieht“, konterte ich und konnte ein Lachen nicht mehr unterdrücken.
„Hast du morgen Abend schon etwas vor?“, wollte ich schließlich von meinem Bruder wissen.
„Nein. Warum?“
„Ich würde mir gerne einen kleinen Fernseher für mein Zimmer kaufen. Das Wohnzimmer ist ja meist belegt, und ich kann unmöglich noch länger auf meine Serien verzichten“, jammerte ich augenzwinkernd.
„Soll ich dich von der Arbeit abholen? Dann könnten wir im Elektromarkt zusammen nach einem passenden Gerät schauen.“
„Gerne. Ich schreib dir morgen eine SMS, sobald ich Feierabend habe.“
„Ist gebongt.“
Wir saßen an diesem Abend noch lange draußen. Es war eine wunderbare Sommernacht, und ich genoss es, meinen Bruder mal wieder ganz für mich alleine zu haben.
Kapitel 13 - Ryan
Ich war gerade damit beschäftigt, die sauberen Gläser aus der Spülmaschine in die Schränke zu
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