Bei Landung Liebe
ich Linda am folgenden Tag beim Abendessen.
„Er ist rüber nach Orlando gefahren. Er möchte dort ein paar Freunde besuchen. Morgen Abend ist er wieder hier“, erklärte sie mir und verteilte bunt gemusterte Keramikschalen auf dem Tisch. Steve brachte einen großen Topf mit selbst gemachtem Chili und stellte ihn die Mitte des runden Holztisches. Ryan saß neben mir und wirkte, wie schon den ganzen Nachmittag, sehr nachdenklich.
Wir hatten uns heute den Art Déco District angesehen und ich schoss dabei irre viele Fotos. Die wunderschönen, frisch restaurierten Hotels und Restaurants aus den zwanziger und dreißiger Jahren waren einfach toll. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite und verwöhnte uns mit strahlend blauem Himmel und viel Sonne. Zudem besuchten wir die Lincoln Road Pedestrian Mall . In den fünfziger Jahren war dies eine schicke Einkaufsstraße gewesen, verfiel dann aber und wurde in den letzten Jahren mit sehr viel Aufwand wieder auf Vordermann gebracht. Nun beherbergte sie Restaurants, Boutiquen, Flohmärkte und Ausstellungsräume verschiedener Künstler. Anschließend machten wir noch einen kurzen Abstecher nach Little Havanna , bevor wir wieder zurückfuhren.
Nach dem Essen war ich total erschöpft. Noch immer versuchte ich die vielen Bilder und Eindrücke, die ich heute sammeln konnte, zu verarbeiten. Ryan drehte gelangweilt eine leere Kaffeetasse hin und her und starrte auf den Tisch.
„Wir würden dir morgen noch mehr von der Gegend zeigen, Isa. Hast du Lust?“
„Ja, gerne. Das wäre fantastisch.“
„Sehr schön. Wir haben für morgen eine Fahrt mit einem Ausflugsschiff geplant. Das Schiff legt um neun ab. Du musst also etwas früher aufstehen als heute“, erklärte Linda.
„Kein Problem“, versicherte ich. Heute Morgen war ich erst um halb zehn aus dem Bett gekrochen, was ich nicht weiter schlimm fand, da ich schließlich im Urlaub war.
„Wenn noch Zeit ist, machen wir im Anschluss einen Abstecher nach Coral Gabels .“
„Was ist Coral Gabels ?“, fragte ich.
„Eine Art Nobeladresse. Allein das Biltmore Hotel ist sehenswert“, erklärte sie mir.
„Ich habe morgen schon was vor. Ihr müsst ohne mich fahren. Und wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mir gerne dein Auto ausleihen, Linda“, bemerkte Ryan und räusperte sich dabei. Ungläubig sah ich ihn an. Bisher hatte er gar nicht erwähnt, dass er bereits etwas geplant hatte.
„Ich muss etwas Dringendes erledigen. Alleine“, ergänzte er kühl und warf einen scharfen Blick in die Runde. Es enttäuschte mich, dass er nicht mitkommen würde, aber ich wollte Lindas freundliches Angebot nicht ausschlagen, und als undankbarer Gast da stehen. Ich war das erste Mal in den USA und wollte die Möglichkeit nutzen, um möglichst viel zu sehen. Außerdem sollte Ryan nicht das Gefühl bekommen, dass ich mich an ihn klammerte. Steve und Linda waren Einheimische und konnten mir sicherlich auch vieles zeigen, was einem Touristen normalerweise verborgen blieb. Linda zog kritisch die Augenbrauen nach oben und musterte Ryan über den Tisch hinweg.
„Was musst du denn so Geheimnisvolles erledigen?“, fragte sie ihn.
„Das geht niemanden etwas an“, erwiderte Ryan schroff und in seiner Stimme war deutlich zu erkennen, dass er auch auf weitere Nachfragen keine Informationen preisgeben würde. Vermutlich wollte er ein Überraschungsgeschenk für seinen Vater organisieren. Bis zur Party waren es nur noch drei Tage und sicherlich plante er etwas. Da war es natürlich optimal, wenn er das Haus einen Tag für sich alleine hatte.
Schweigend saßen wir am Tisch, bis Linda das Gespräch wieder aufnahm und mich über Deutschland ausfragte. Sie erkundigte sich nach Geschwistern, wo und wie ich wohnte und was ich arbeitete. Da sie keinerlei Fragen über meine Eltern stellte, ging ich davon aus, dass sie bereits über deren Unfalltod Bescheid wusste. Linda und Steve räumten nach dem Essen das Geschirr weg und ließen mich mit Ryan, der mit verschlossener Miene am Tisch saß und vor sich hin starrte, alleine. Er sah sehr nachdenklich aus, und da ich ihn bei seinen Überlegungen nicht stören wollte, hielt ich es für das Beste, ihn in Ruhe zu lassen und ging nach oben. Dort angekommen warf ich mich zuerst auf das Bett und schloss kurz die Augen. Ryans Verhalten eben war seltsam. Er hatte sich sofort total versteift und so hatte ich ihn noch nie erlebt. Wenn er wirklich nur eine Geburtstagsüberraschung plante, warum reagierte er dann
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