Bei Tag und bei Nacht
mit ihr zwei Tage und zwei Nächte lang«, fuhr Grant fort, »denn er glaubte, dass er sie haben könnte, wenn sie das Land erreichten. Als die Küste in Sicht kam, hat sie ihm mit einem Säbel den Kopf abgeschlagen. Jetzt steckt sein Schädel auf einer Felsspitze und stöhnt vor unbefriedigtem Verlangen.«
»Und was wurde mit der Frau?«, fragte Gennie ernsthaft.
»Sie investierte das Gold, machte großen Gewinn und wurde schließlich ein geachtetes Mitglied der Gemeinde.«
Gennie lachte laut, und sie setzten ihren Weg fort. »Die Moral der Geschichte ist dann wohl, dass man nie den Versprechungen einer Frau trauen sollte.«
»Bestimmt nicht den Versprechungen einer schönen Frau.«
»Hat man Ihnen den Kopf schon einmal abgeschlagen, Grant?«
Er lachte kurz: »Nein.«
»Wie schade.« Sie seufzte. »Das bedeutet wahrscheinlich, dass Sie es sich in Ihrem Leben zur Gewohnheit gemacht haben, Verlockungen zu widerstehen.«
»Das muss man nicht, wenn man ein wachsames Auge behält«, konterte er.
»Sehr romantisch ist das aber nicht.«
»Vielen Dank! Doch für meinen Kopf habe ich andere Verwendung.«
Nachdenklich fragte sie: »Briefmarken sammeln?«
»Zum Beispiel.«
Schweigend spazierten Gennie und Grant zwischen der schäumenden Brandung und den steilen Klippen weiter. Weit draußen waren einzelne Boote zu erkennen. Doch dadurch wurde die Verlassenheit und Einsamkeit des Küstenstriches nur noch betont.
»Woher kommen Sie?«, fragte Gennie impulsiv.
»Von da, wo auch Sie herkommen.«
Sie stutzte. Dann lachte sie leise. »Nicht biologisch, geografisch, meine ich.«
Grant hob die Schultern, um gleichgültig zu erscheinen. »Südlich von hier.«
»So genau wollte ich es nicht wissen«, sagte sie spöttisch, machte aber einen neuen Vorstoß: »Aus welcher Familie kommen Sie? Haben Sie Angehörige?«
Grant blieb stehen und betrachtete Gennie prüfend. »Warum?«
Sie seufzte übertrieben und schüttelte den Kopf. »Das wird als freundliche Konversation bezeichnet. Ein neuer Trend, aber es soll angeblich rasch Mode werden.«
»Ich bin kein Unterhalter.«
»Nein? Was Sie nicht sagen.«
»Diese großen, erstaunten Unschuldsaugen stehen Ihnen gut, Genevieve.«
»Danke.« Sie spielte mit der Muschel in ihrer Hand und schaute dann mit scheuem Lächeln zu Grant auf. »Ich will Ihnen etwas von meiner Familie erzählen, nur um den Anfang zu machen.« Einen Augenblick lang dachte sie nach. Plötzlich schien ihr etwas Bestimmtes einzufallen. »Es geht um einen entfernten Vetter. Ich fand immer, dass er das faszinierendste Familienmitglied ist, obwohl er nicht gerade Grandeau genannt werden dürfte.«
»Wie denn?«
»Schwarzes Schaf«, erklärte sie genüsslich. »Er hat alles nach seinem eigenen Geschmack getan und sich nie darum gekümmert, was die anderen davon hielten. Von Zeit zu Zeit hörte ich über ihn Geschichten, die natürlich nicht für meine Ohren bestimmt gewesen sind. Ich habe ihn erst kennengelernt, als ich erwachsen war. Wir mochten uns sofort leiden und sind während der letzten zwei Jahre immer in Verbindung geblieben. Er hat sich mit ausgefallenen Dingen recht erfolgreich beschäftigt, sehr zum Missfallen anderer Grandeaus. Schließlich hat er uns alle dadurch verblüfft, dass er geheiratet hat.«
»Sicher eine Bauchtänzerin.«
»Nein.« Gennie freute sich, dass Grant auf ihre Geschichte einging und Humor zeigte. »Eine hochanständige Partie: intelligent, gute Familie, vermögend …« Sie rollte theatralisch mit den Augen. »Das schwarze Schaf! Wer hätte es für möglich gehalten? Der eine Zeit lang im Gefängnis saß und dann durch Glücksspiel ein Vermögen machte. Er hat sie alle übertroffen.«
»Ich liebe Geschichten mit Happy End!«, meinte Grant trocken.
Gennie sah ihn stirnrunzelnd an: »Ist Ihnen nicht bekannt, dass man auf eine Geschichte mit einer anderen antworten muss? Denken Sie sich lieber etwas aus.«
»Ich bin das jüngste von zwölf Kindern eines afrikanischen Missionars!« Es kam ihm so leicht von den Lippen, dass Gennie ihm beinahe glaubte. »Als ich sechs war, bin ich in den Dschungel gelaufen und von zwei prächtigen Löwen adoptiert worden. Noch heute habe ich eine Vorliebe für Zebrafleisch. Mit achtzehn fiel ich Jägern in die Hände, die mich an einen Zirkus verkauft haben. Fünf Jahre lang war ich der Star der Pausenfüller.«
»Der Löwenboy!«, bemerkte sie andächtig.
»Natürlich. Eines Nachts fing das Zelt beim Sturm Feuer. Im allgemeinen
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