Bei Tag und Nacht
durch den Schuß einigermaßen verschreckt war, hob sie sanft in den Sattel und schwang sich dann hinter sie. Er lehnte sie an seine Brust, legte einen Arm fest um ihre Taille, und das Pferd setzte sich in Bewegung.
So langsam, wie sie vorankamen, dauerte es länger als angenommen, das Heer einzuholen. Inzwischen war Elissa in einen unruhigen Schlummer gefallen. Er verspürte tiefen Schmerz, als er das Blut auf ihrem Gesicht und in ihren Haaren sah. Nur seinetwegen mußte sie leiden - er hatte sie auf diesen Marsch mitgenommen. Bei diesem Gedanken wurde es ihm fast schwarz vor Augen.
Adrian fluchte leise. Du große Güte, er hatte doch gewußt, wie gefährlich die Sache war. Niemals hätte er ihr erlauben dürfen, Wien zu verlassen. Er hätte sie beschützen sollen, statt dessen jedoch kläglich versagt. Beinahe wäre sie heute dort draußen umgekommen, und er trüge dafür die Verantwortung.
Es packte ihn das kalte Grauen, als er daran dachte, wie sein Engel unter der österreichischen Sonne sein Leben aushauchte. Ein Schauder überlief ihn, und plötzlicher Schweiß trat auf seine Stirn.
Zum erstenmal wurde ihm klar, wie gern er sie mittlerweile hatte, wie viel sie ihm bedeutete. Seit wann war das so ? Wie hatte er das zulassen können? Wie hatte sie die Wand um sein Herz zum Einstürzen gebracht?
Die Brise wehte ihr feines, helles Haar an seine Wange, und er hätte sie am liebsten geweckt, um ihren Zustand zu prüfen. Er hörte ihren leisen Atem und hätte sehr gerne seine Hand auf ihr Herz gelegt, um zu sehen, wie lebendig es schlug... sie durfte nicht sterben und ihn verlassen, niemals!
Da traf es ihn wie ein lodernder Blitz: Er liebte sie, zum Kreuzdonnerwetter!
Herr im Himmel - es konnte doch nicht sein, daß er sich so wenig im Griff hatte. Ach was, beschwichtigte er sich, er hatte sie gern, ja. Vielleicht allzu sehr, verdammt! Aber Liebe? Mit Liebe gaben sich nur Kindsköpfe ab, und das war er doch schon lange nicht mehr.
In diesem Augenblick erwachte sie, bewegte sich etwas, schnaufte beruhigt, als ihr klarwurde, daß sie in seinen Armen lag. »Sind wir schon da?«
Er versuchte zu lächeln, was ihm nur mäßig gelang. »Ich sehe dicht vor uns die Etappe.«
»Und ich fühle mich schon etwas besser. Mein Kopf tut nicht mehr ganz so weh.«
Andächtig küßte er sie auf die Stirn. »Ich werde dir einen Sanitäter suchen. Der Tag neigt sich. Bald werden sie anhalten, um zu lagern, dann kannst du dich richtig ausruhen.«
Elissa nickte schwach, schloß die Augen und lehnte sich an seine Schulter. So unschuldig. So voller Vertrauen. Adrian dachte darüber nach, was ihr heute zugestoßen war, dachte auch an den beängstigenden Verlust der Kontrolle, der ihn erfaßt hatte -und was er deswegen unternehmen mußte.
Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Eigentlich war er der letzte Mensch, dem sie hätte vertrauen dürfen.
Elissa wachte in ihrem provisorischen Zelt wieder auf. Ihr Kopf dröhnte und schmerzte klopfend an der Schläfe. Vorsichtig hob sie die Hand und betastete den Watteverband neben ihrem Ohr. Sie drehte sich auf dem Lager zur Seite und griff nach Adrian, aber er war nicht da. Vor dem Zelt ertönten die üblichen Feldgeräusche, das Wiehern von Pferden, das Rattern der Wagen.
Dennoch brauchte sie einen Moment, um ganz zu sich zu kommen, sich an den Schuß zu erinnern, der sie am vergangenen Tag getroffen hatte. Zudem dachte sie an den zärtlich bemühten Adrian. Wie versprochen hatte er sie zu einem Sanitäter gebracht, abgewartet, bis sie verbunden und beruhigt worden war: die Wunde befände sich nur an der Oberfläche. Dann hatte er sie in Ruhe gelassen.
Elissa dachte an diese Augenblicke zurück. Sie hatte einen Ausdruck auf seinem Gesicht entdeckt, eine Distanziertheit, die vorher nicht dagewesen war. Ach was, auf so etwas sollte sie einfach gar nicht achten, sicher war es nur seine Sorge um sie. Aber tief im Innern hatte sie Angst, daß ihre Verletzung in ihm einen Sinneswandel bewirkt haben mochte.
Sie wollte ihn unter gar keinen Umständen verlieren! Nicht jetzt, wo er gerade begonnen hatte, sie gern zu haben, vielleicht auch zu akzeptieren, daß sie in sein Leben gehörte. Die Ungewißheit drehte ihr den Magen um. Sobald wie möglich würde sie ihn fragen, damit sie wußte, woran sie war.
Aber ein Teil von ihr fürchtete sich vor der Wahrheit. Am Ende hatte sie mit ihrer Vermutung recht.
Adrian bückte sich, um das Zelt von General Klammer zu betreten. Er richtete sich auf,
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