Bei Tag und Nacht
uns im Nacken und wird bald Wien erreichen.«
»Erzherzog Karl hält ihn zweifellos auf. Er tut natürlich alles Menschenmögliche für die Hauptstadt!«
»Das stimmt. Und deshalb ist es auch der sicherste Platz für dich, Elissa.«
»Was?«
»General Klammer hat mir befohlen, die Familie Petralo nach Wien zu bringen. Und dich werde ich ebenfalls mitnehmen.«
»Aber das ist Wahnsinn! Ich kann doch jetzt nicht einfach weg. Wir müssen beim Heer bleiben und den Falken finden.«
»Aber es gibt keinerlei Anhaltspunkte ...«
Elissa hob das Kinn. »Und der Schuß? Becker muß dahintergesteckt haben, wir sind auf der richtigen Spur. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du ihn auf frischer Tat ertappst.«
»Das hoffe ich. Aber bis dahin will ich dich gut aufgehoben wissen.« Sie setzte zum Widerspruch an, aber Adrian unterbrach sie. »Gestern hat jemand versucht, uns zu töten. Wenn du schon nicht an dich selbst denkst, dann denke wenigstens an deinen Bruder. Falls der Falke eure Verwandtschaft entdeckt, würdest du damit Peters Leben in Gefahr bringen.«
Elissa kaute auf ihrer Unterlippe, betrachtete nachdenklich Adrian von unten, und er wandte den Blick ab, um der Frage in ihren Augen auszuweichen.
»Und du?« fragte sie dennoch. »Wirst du bei mir in Wien bleiben?«
Sein Magen zog sich zusammen. Das würde er nicht, zumindest nicht lange. »Ich bin Soldat, Elissa, und gehe, wohin man mich schickt.« Er nahm ihre Hand und drückte einen sanften Kuß auf ihre Finger. »Bitte ... du mußt mir vertrauen! Ich werde Becker überführen - oder wer immer der Verräter sein mag. Ehrenwort!«
Ihr Blick lag prüfend auf seinem Gesicht. Sie fühlte sich sehr versucht zu protestieren, aber schließlich verzichtete sie darauf. Er nahm an, ihr Kopf schmerze vielleicht mehr, als sie zugab, denn sie wirkte immer noch ein wenig bleich.
»Wann brechen wir auf?« fragte sie.
»Morgen früh. Du kannst den Abend mit deinem Bruder verbringen. Dann wirst du ordentlich schlafen, und bei Morgengrauen wecke ich dich.«
Elissa nickte, aber ihre Züge sahen sehr angestrengt aus. Woran dachte sie wohl gerade?
22
Nina Petralo bewegte eifrig Hals und Schultern, um es sich bequem zu machen in dem Heuwagen, den Colonel Kingsland für den Transport nach Wien organisiert hatte. Die beiden Pferde von Elissa und dem Colonel trotteten hinter ihnen her. Der kleine Tibor und Vada saßen ihnen gegenüber und ließen die kurzen Beine baumeln.
Vorn auf dem abgenutzten Bock hockte Elissa neben dem Colonel, und die Enttäuschung über ihren Aufbruch war deutlich an der Haltung ihrer Schultern abzulesen. Der Colonel neben ihr saß sehr aufrecht, als befände er sich auf Minotaurus. Elissas Haltung war genauso steif; beide hefteten die Blicke auf die Straße vor ihnen, wobei sie nur das Nötigste sprachen und dann in übertrieben höflichem Ton.
Es tat einem richtig weh, sie anzusehen, dachte Nina, mit Ratlosigkeit auf dem hübschen Gesicht. Die Spannung in dem kräftigen Körper des Colonels schien obendrein zuzunehmen, je mehr sie sich Wien näherten.
Obwohl die Armee des Erzherzogs geradeaus weitermarschierte Richtung Osten, auf einen unbekannten Treffpunkt mit den Truppen General Hillers zu, befanden sie sich nur einen Tagesritt von Wien entfernt. Nina würde dankbar sein, endlich dort anzugelangen und die schwere Zeit im Feld hinter sich zu lassen; sie freute sich, wieder in den Genuß eines Daches über dem Kopf und den Schutz einer Familie zu kommen - obwohl die Krasnos’ nur entfernte Verwandte waren, die sie nicht kannte und über die sie wenig wußte. Wenigstens hätten sie eine Bleibe und genug zu essen, die Kinder auch endlich wieder ein Heim.
Nina schaute nach vorn zu ihren neuen Freunden, wünschte sich, die Lösung für Elissas und Adrians Problem wäre so einfach wie bei ihr selbst. Aber das sah leider nicht so aus. Denn Elissa liebte den attraktiven Colonel inniglich, und dieser war
ebenso störrisch darauf bedacht, sein Herz vor Gefühlen zu bewahren. Doch obwohl er seine Empfindungen hinter kühler Distanz zu verbergen trachtete und seine Liebe für die Frau neben sich sogar vor sich selbst leugnete, sah Nina sie doch so deutlich, als stünde er auf einem Berg und verkünde sie von dort der ganzen Menschheit.
Ihre Freundin erkannte das offensichtlich nicht. Und falls doch, wagte sie wohl nicht, es zu glauben. Oder sie wußte einfach, daß er sie in jedem Fall wieder verließe.
Nina seufzte. Inzwischen bewunderte sie den
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