Bei Tag und Nacht
Colonel, der treu und genauso tapfer war wie die ungarischen Patrioten. Er war fähig und stark, aber auch ein Mann, der zärtlich sein konnte. Seine Liebe wirkte tief und dauerhaft; doch trotzdem mochten Elissas Befürchtungen begründet sein. Die finstere Haltung des Colonels war erfüllt von dunklen, schmerzlichen Geheimnissen, die immer in seinen Augen aufflackerten, wenn er sich unbeobachtet wähnte.
Nina wußte, daß Elissa sie auch bemerkt hatte und großes Mitgefühl hegte.
»Wir lassen die Pferde gleich ein wenig ausruhen«, rief der Colonel über die Schulter nach hinten. »Mit diesem Tempo erreichen wir Wien sowieso erst bei Einbruch der Dunkelheit. Ihr und die Kinder könnt dann in meinem Haus übernachten, und morgen früh begleiten wir Euch zu Eurer neuen Familie.«
»Und ich?« erkundigte Elissa sich.
Sein Blick traf den ihren, eindringlich, aber doch seltsam verschlossen. »Meinetwegen bleibst du auch derweilen«, sagte er etwas brummig, »weil wir so spät ankommen. Du möchtest wahrscheinlich erst baden und dich umziehen, bevor du zum Palast der Herzogin zurückkehrst.«
Aus der Art, wie er das sagte, aus seiner rauhen Stimme ließ sich durchaus sein Schmerz über den Abschied entnehmen. Mehr sagte er nicht und Elissa auch nicht - aber Nina nahm an, daß ihre Freundin das wohl auch herausgehört hatte.
Von den Karrenrädern wirbelte der Staub auf, und Nina lehnte sich an die hölzerne Seitenwand, spürte die Verzweiflung der beiden und wünschte, sie könnte ihnen irgendwie helfen. Sie fragte sich, wie es wohl sein mochte, wenn man jemanden so sehr liebte. Eigentlich müßte das doch erfreulich sein, nicht kummervoll, eine Sache voller Glück, statt Schmerz ...
Vielleicht würde sie auch eines Tages einen Mann finden, der sie so liebte wie der Colonel Elissa.
Und mit dem würde sie dann auf immer und ewig verbunden sein.
Die Lichter von Wien glitzerten wie Juwelen in der Krone des Kaisers, die Türme und Spitzen ragten empor in die warme Mainacht. Der Karren fuhr die kopfsteingepflasterten, gewundenen, belebten Straßen der Innenstadt entlang zum Stadthaus Adrians in der Naglerstraße.
Als sie es endlich erreichten, war Elissa erschöpft und dankbar für Adrians Angebot, vorerst bei ihm abzusteigen. Da Nina und die Kinder auch dabei waren, bestand keine Gefahr auf Tratsch, obwohl das freilich bedeutete, daß sie die Nacht allein in ihrem Bett verbringen würde.
Adrian half ihnen vom Wagen herunter und brachte seine kleine Schar in die Empfangshalle. Der junge Tibor lag schlafend in seinen Armen. Vada hielt sich an einem seiner Beine fest, die Augen halb geschlossen, und das halbverhungerte Hundejunge, das sie bei ihrem letzten Halt gerettet hatte, trottete neben ihr her.
Elissa lächelte, als sie daran dachte, wie das kleine Mädchen den armen Köter aufgehoben und an seine Brust gedrückt hatte.
»Bitte, Colonel«, hatte das Kind ihn angefleht, »bitte, dürfen wir ihn behalten? Er hat Hunger, und keiner kümmert sich um ihn. Wir können ihn doch nicht allein lassen.« Der struppige Wicht war dem Wagen zum Brunnen gefolgt, wo sie die Pferde getränkt hatten, und bekam auch prompt etwas zu fressen. Er war eine schwarzweiße Promenadenmischung, dessen Rippen sich deutlich unter seinem stumpfen Fell abzeichneten.
»Er ist viel zu mager«, klagte Vada und hob den kleinen Hund in ihre kurzen, runden Arme. »Es hat ihn bestimmt jemand ausgesetzt.« Sie streichelte das schmutzige Fell, und das Hündchen wand sich, um der neuen Herrin die Wange zu lecken.
Vada drückte das Tier an sich und begann zu weinen, dann hob sie ihr trauriges Gesicht zu Adrian, als wenn er der einzige Mensch auf der Welt - also zuständig wäre. »Er wird sterben, wenn wir ihn nicht mitnehmen. Er überlebt es nicht, genau wie Sali... oder Papa!«
Adrian schaute in die flehenden dunklen Augen und war verloren. Er brummelte etwas über Kinder und Hunde, dann seufzte er resigniert. »Ich sehe nach, ob das Biest jemandem gehört. Und wenn nicht - vorausgesetzt deine Schwester ist einverstanden -, darfst du ihn mitnehmen.«
Ein schneller Blick zu Nina, die lächelte und nickte ... Vada strahlte Adrian an, als hätte er gerade den Mond vom Himmel heruntergezaubert. »Vielen Dank, Colonel. Vielen, vielen Dank.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen zu einem Kuß, den Hund immer noch an ihre Brust gedrückt - Adrian bückte sich und nahm die ganze Bescherung in die Arme.
Elissa, die ihnen zusah, spürte, wie sich ihrer
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