Bei Tag und Nacht
die Kinder sicher untergebracht wissen.«
Aber Nina wirkte gar nicht besonders eifrig. Genaugenom-men sah es angesichts ihres Blickes auf den Major eher so aus, als gefalle ihr der Wohnungswechsel überhaupt nicht.
»Seid Ihr bereit?« fragte Jamison, und auch das klang recht gedehnt.
Nina nickte zögernd. »Der Butler hat unsere Sachen in die Kutsche bringen lassen... wir mußten ohnehin das meiste in Ratisbon lassen.«
»Besitztümer sind nicht wichtig«, meinte der Major. »Es kommt nur darauf an, daß Ihr mit heiler Haut hierhergelangt seid und bald eine neue Familie haben werdet.«
»Jaha...«, stimmte Nina ihm zu, aber Unsicherheit lag in ihren großen, dunklen Augen. Sie kannte die Krasnos’ nicht. Was würde sie dort erwarten? Elissa hoffte, sie und ihre Geschwister würden gut aufgenommen werden.
»Auf Wiedersehen, Nina!« Elissa nahm sie in die Arme. »Du bist eine wunderbare Freundin.«
Nina erwiderte die Umarmung. »Ich hoffe, wir können einander noch oft sehen.«
Elissa umarmte auch die Kinder. »Paßt gut auf eure Schwester auf, ja? Sie ist manchmal genauso allein wie ihr.«
Entgeistert starrten sie zu ihr hinauf. Nina war so stark, die große Schwester - allein wie sie?
Der kleine Tibor nahm Ninas Hand. »Ich passe auf dich auf. Genauso, wie Papa es immer getan hat.«
Erneut wollte Elissa die Rührung übermannen. Sie hatte schon den ganzen Morgen die Neigung zum Weinen verspürt. Unwillkürlich dachte sie an die Kinder, die sie und Adrian hätten haben können.
»Vielen Dank, Tibor«, sagte Nina ernst. Liebevoll drückte sie seine Hand. »Jetzt gehen wir aber. Der Major hat heute sicher noch andere Dinge zu tun.«
Jamison wollte widersprechen, aber die Kinder rannten sofort los, wobei sie ihn beinah umwarfen. Mit leisem Lachen wandte er sich Nina zu, und seine Züge wurden weicher, als er sie aufmerksam musterte. »Ich habe mich gefragt, Fräulein Petralo ... Nina ... ob ich vielleicht... ob es Euch etwas ausmachen würde, wenn ich Euch einmal in Eurem neuen Heim besuche?«
Ninas Strahlen verriet, wie sehr sie sich freute. »Nein, das würde mir sehr gefallen ... Jamie.«
Der Major lächelte wieder so warm, wie es Elissa nicht zum erstenmal aufgefallen war. »Sollen wir?« Er bot Nina seinen Arm und führte sie hinaus zur Kutsche.
Elissa winkte ihnen nach, und plötzlich fühlte sie sich müde und unerträglich einsam. Sie wußte, daß sie dem Gefühl nicht nachgeben durfte, sonst würde es ihr den Boden unter den Füßen wegziehen.
Sie richtete sich gerade auf und ging hinauf in ihre Schlafkammer. Nun galt es, ihre nächsten Schritte zu planen. Doch selbst in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers konnte sie sich nicht konzentrieren. Ihr Herz tat weh vor Bitterkeit über den Verlust, und ihre Gedanken schwammen in Traurigkeit. Sie versuchte, das Bett zu ignorieren. Es erinnerte sie an das Märchen, das sie mit Adrian erlebt hatte, ihre letzte gemeinsame Nacht.
Hoffentlich würde sie sich morgen wieder besser fühlen. Morgen würde sie anfangen zu vergessen.
Doch im Herzen wußte sie, daß Adrian ein Mann war, den sie niemals vergäße.
24
Napoleon wartete nicht, wie alle angenommen hatten, um seine Armee zu sammeln, sondern marschierte vorwärts, eroberte die Praterinsel inmitten der Donau und begann am zehnten Mai, Wien zu beschießen. Es entstand Panik. Menschen strömten scharenweise aus der Stadt. Major St. Giles und sein Regiment der britischen Kavallerie waren von morgens bis abends auf den Beinen, halfen dabei, Diplomaten und höhere Regierungsbeamte zu evakuieren sowie Altertümer und wichtige Archive fortzuschaffen; diese gerieten vielleicht in Gefahr, wenn Napoleon die Verteidigung des Erzherzogs durchbrach.
»Da draußen ist die Hölle los«, erklärte Jamie Elissa am Nachmittag. »Ihr müßt unbedingt im Haus bleiben.« Sie saß im Eßzimmer und versuchte, etwas Suppe hinunterzuzwingen, als er in der Tür erschien. »Ich habe nur einen Augenblick Zeit, und wollte nachsehen, ob Ihr wohlauf seid.«
»Aber natürlich«, sagte sie, als er auf sie zukam - allerdings waren ihre Nerven gespannt, seit sie von dem Angriff erfahren hatte.
»Bitte laßt die Türen verschlossen und die Vorhänge zugezogen. Es soll niemand herein, den Ihr nicht kennt.«
»Ich - ich hatte gehofft, Nina heute nachmittag zu treffen. Ich möchte mich vergewissern, daß ihr und den Kindern nichts fehlt.«
Der Major schüttelte den Kopf. Er war wesentlich weniger nachgiebig, als sie ihn eingeschätzt
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