Bei Tag und Nacht
spürte er ihre Kraft. »Seid Ihr sicher, Jamie?«
Gleichzeitig sah er das Vertrauen und die Dankbarkeit in ihren schönen dunklen Augen, und sein Herz begann zu pochen. »Von Moment zu Moment bin ich sicherer. Kann es losgehen?«
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und verdrängte den Schmerz und die Schwellung. »Auf der Stelle und sofort, Major St. Giles!«
Jamison führte die kleine Schar aus der Wohnung und fragte sich, was er da wohl gerade für einen Schritt vollzogen hatte. Jetzt war er für Nina und die Kinder verantwortlich. Was mit ihnen geschah, hing von ihm ab. Das hätte ihn abschrecken können. Statt dessen war er von Herzen froh, daß sie mit ihm kamen.
25
Hinten im Wagen verließ Elissa mit den Petralos Wien. Es war um Mitternacht am 12. Mai, als sie den Fluß auf der Franzensbrücke überquerten. Die Donau hatte Hochwasser, ein Vorteil, den die österreichische Nachhut für sich nutzte. Die fliehenden Soldaten zerstörten die Brücke hinter sich, und Napoleons Truppen konnten sie nicht mehr verfolgen, denn sie saßen auf der Südseite der Donau fest.
Bis zum folgenden Tag hatten sie das Kanonenfeuer eingestellt, und Napoleon war triumphierend in Wien einmarschiert, schlug sein Hauptquartier im Palast von Schönbrunn auf. Währenddessen fuhr der Wagen weiter hinter dem Regiment der Briten her, die zu einem Treffpunkt mit der Armee des Erzherzogs auf dem Marchfeld südöstlich von Wien marschierten.
Als sie am Ende eines anstrengenden Tages ihr Lager errichteten, spürte Elissa unwillkürlich Verzweiflung aufkommen. Wieder folgte sie der Armee. Nina und die Kinder waren da, und sogar der kleine Hund von Vada. Nur Adrian fehlte. Nur Adrian - und damit ein großer Teil ihres Herzens.
»Du bist so still heute«, sagte Nina. Sie arbeiteten Hand in Hand wie zuvor, standen gerade an einem dampfenden Kessel von Gulasch, das sie zum Abendessen kochten.
Die Freundin warf Nina einen Blick zu. »Mir war irgendwie nicht nach Reden zumute.« Sie lächelte schwach. »Aber dir ja auch nicht recht, scheint mir. Vielleicht hast du an den Major gedacht?«
Nina seufzte. »Wir haben kaum miteinander gesprochen, seit dem Verlassen meiner Wohnung. Womöglich bin ich ihm eine Last. Es war nicht fair von mir, ihm meine Schwierigkeiten aufzubürden. Ich bin froh, meinen Vetter los zu sein - aber ich hätte nicht mit Jamie gehen dürfen.«
Nun wischte sich Elissa die Hände an der Schürze über ihrem
Rock ab. »Er hätte bestimmt nicht darauf bestanden, wenn er dir nicht hätte helfen wollen.«
»In jenem Augenblick mag es so gewesen sein, weil ich im leid tat. Ich hätte seine Großzügigkeit nicht ausnutzen dürfen.«
Elissa lächelte innerlich. »Wenn man dich hört, hat der Major eine Menge guter Eigenschaften.«
Röte stieg in Ninas Wangen. »Er ist ein ganz besonderer Mann.«
»Und sehr attraktiv«, fügte Elissa verständnisvoll hinzu.
Fräulein Petralo nickte eifrig. »Ja, wirklich sehr.«
»Es wird sich schon alles regeln, Nina. Das darfst du getrost glauben.«
Ihre Freundin begann, heftig im Eintopf zu rühren, und Elissa verstummte. Sie wußte, daß Nina sich grämte; aber ihr war klar, daß hinter Jamisons Handeln mehr als Mitleid steckte. Seine Blicke schmolzen, wann immer sie auf die dunkelhaarige junge Frau fielen. Aber Nina würde ihr das nicht glauben. Jamison mußte sie schon selbst überzeugen, und bis jetzt war er so beschäftigt gewesen, daß sie ihn kaum zu sehen bekommen hatten.
Auch an diesem Abend hielten ihn seine Pflichten fern. Erst lange nachdem sie gegessen und die Kinder schlafen gelegt hatten, kam er ins Lager und trat in den Schein ihres kleinen Feuers. Seine hohen, schwarzen Stiefel waren staubig, und er roch nach Leder und Pferden; doch seine hellen, blauen Augen und seine schlanke, muskulöse Gestalt waren immer noch dazu angetan, daß sich Frauen nach ihm umdrehten.
»Tut mir leid, daß ich nicht früher dasein konnte. General Ravenscroft hat eine Besprechung einberufen, die länger dauerte als erwartet.« Er schnupperte an dem Gulasch, das sie für ihn warm gestellt hatten. »Hoffentlich ist noch etwas übrig.«
Nina lächelte, und im Schatten wirkten ihre Augen noch größer als sonst. Ihre Lippen hoben sich weich. »Genug«, versicherte sie. »Ich hole Euch einen Teller.«
Sie füllte einen Blechteller mit einer großen Portion von dem köstlichen Eintopf, brachte ihm eine dampfende Tasse Kaffee, und dann saßen sie schweigend zu dritt am Feuer,
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